Jenseits von Imperialität und Anti-Imperialität

Fünf Hypothesen zu den Enden der Geschichte

Von allen meinen Texten hat dieser hier die kurioseste Publikationsgeschichte. Geschrieben habe ich ihn für ein 2012 erschienenes Buch zu Ehren Rainer Rillings.  Die Herausgeber*innen haben den Text in der Druckfassung – vergessen: zu ihrem, zu meinem und Rainers Bedauern. Dann sollte er in einem Buch zur Empire-Debatte erscheinen, das Thore Prien herausgeben wollte: das Buchprojekt kam nicht zustande. Anyway:  Rainers Buch bleibt einer der besten Beiträge dieser Debatte. (Lang)

Mag sein also ein Zufall – aber welch ein Zufall.

Dieter Leisegang 1973, S. 73

Im ersten Teil dieses Textes versuche ich, den geschichtsphilosophisch-gesellschaftstheoretischen Streit um Imperialismus und Empire auf eine dritte Option zu überschreiten, die ich im Begriff der Imperialität fasse. Im zweiten Teil umreiße ich in fünf Hypothesen die Möglichkeiten, die sich mit den globalen Aufständen der Jahre 2010/2012 und den globalisierungskritischen Bewegungen des Jahrhundertwechsels eröffnet haben. Sie sind nicht einfach nur anti-imperial, sondern überschreiten die Opposition von Imperialität und Anti-Imperialität auch ihrerseits auf eine dritte Option hin und werden so, jedenfalls in der Tendenz, zu weltgeschichtlichen Bewegungen. Im gelingenden Fall wird von ihnen gesagt werden können, was Karl Marx und Friedrich Engels zu ihrer Zeit dem Kommunismus zusprachen: die „wirkliche Bewegung“ zu sein, „welche den jetzigen Zustand aufhebt.“[1] Festgehalten sei, dass die beiden „dritten Optionen“ unterschiedlicher Qualität sind: die erste gilt dem Verständnis von Herrschaft, die zweite dem von Befreiung.

Genauer besehen folgt jetzt aber nicht ein, es folgen zwei Texte, die dann ineinander verschachtelt wurden. Die Passagen des ersten Texts sind kursiv gesetzt, die des zweiten in Grundschrift gehalten. Der erste (kursiv) wurde 2011 noch ganz unter dem Eindruck des Arabischen Frühlings, der weltweiten occupy-Bewegung und der südeuropäischen Krisenproteste geschrieben, diente der Selbstverständigung auch über den eigenen Enthusiasmus und ist deshalb an manchen Stellen sehr dicht geraten. Der zweite (Grundschrift) entstand 2012 Jahr später und kommentiert den ersten aus dem zwischenzeitlich gewonnenen Abstand heraus. Ihm sind zwei Fußnoten zuzurechnen, die erst kurz vor der Drucklegung eingefügt wurden und sich auf nicht zu überspringende Wendungen des fortlaufenden Geschehens beziehen. Die fragmentierte Textur soll im und gegen den notwendig systematisierenden Zug der Theorie den offenen Charakter der Bewegung zur Geltung bringen. Aus gegebenem Anlass und aus Freundschaft sind beide Texte Rainer Rilling gewidmet, dem ich den Begriff der Imperialität und damit auch seinen Gegenbegriff verdanke.

Teil 1: Empire, Imperialismus, Imperialität

Zum Einstieg.

Der abgründige Charakter allen geschichtlichen Handelns manifestiert sich in dem Umstand, dass seine Akteur_innen nur selten auf der Höhe ihrer eigenen Möglichkeiten sind. Diesem an sich unvermeidlichen Rückstand geschichtlicher Subjekte auf ihre eigene Aktion kommt heute eine besondere Bedeutung zu, weil darin nicht weniger als das Ende der Geschichte zur Entscheidung steht. Offen ist noch, ob es sich dabei um ihr bloßes Aufhören oder um die Erfüllung eines in ihr wirkenden Zwecks gehandelt haben wird. Dieser Zweck und seine Wirkungsmacht hängen wesentlich an dem, was Marx/Engels die „weltgeschichtliche Existenz der Individuen“[2] genannt haben, also an der Bereitschaft und Befähigung geschichtlicher Akteur_innen, ihrem Handeln einen solchen Zweck, ein so verstandenes Ende allererst vorauszusetzen. Dabei gilt zugleich, dass diese Individuen in dieser Voraussetzung nur eine Möglichkeit ergreifen, die ihnen geschichtlich schon zugefallen sein muss.

Dem amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama zufolge hat die Geschichte mit dem Zusammenbruch des staatssozialistischen Blocks und der Globalisierung von Kapitalismus und konstituierter Demokratie ein solches Ende bereits erreicht. Der von Rainer Rilling ins Spiel gebrachte Begriff der Imperialität, der ihm korrespondierende Begriff der Anti-Imperialität und die beide überschreitende Option der „wirklichen Bewegung“ umgrenzen das Feld, auf dem theoretisch wie praktisch zu klären ist, warum Fukuyama zugleich Recht und Unrecht hat: auch wenn seine Zeit, dem Midan at-Tahrir[3] sei Dank, definitiv abgelaufen ist.

Kommentar (1)

Die Enden der Weltgeschichte. Tatsächlich gibt es nicht ein, sondern wenigstens drei Enden der Geschichte. Es kann damit sowohl das bloße Aufhören der Geschichte als auch ihre Vollendung, es kann damit aber auch die nur passagere Erschöpfung gemeint sein, von der wir uns gerade befreien. Im ersten Fall wäre sie genau besehen gar keine „Geschichte“, sondern nur eine lange und blutige Verkettung von Begebenheiten und Vorgängen gewesen, die „am Ende“ zu nichts geführt hätten. Dem sind wir heute schon so nahe, dass wir darin wiederum zwei Möglichkeiten unterscheiden können: die eines apokalyptischen und eines postapokalyptischen Aufhörens von Geschichte. Die Apokalypse wird sich entweder in einem mit atomaren Vernichtungswaffen geführten Krieg oder in einer ökologischen Katastrophe oder einer Kombination beider realisieren. Auch die Postapokalypse wird durch Kriege und ökologische Katastrophen heraufgeführt, doch wird ihre Besonderheit darin liegen, die Apokalypse trotz ungeheuren Elends und trotz aller Gewalt gleichsam in letzter Minute vermieden und sich auf Dauer gestellt zu haben. Ihr wird aber, und daran hängt alles, die heute noch gegebene dritte Option fehlen, die ihrer Aufhebung.

Die Chance einer solchen Aufhebung wird mit der zweiten Bedeutung eines Endes der Geschichte aufgerufen. Hier geht es nicht um ein Zu-Ende-kommen im Sinne des apokalyptischen oder postapokalyptischen Aufhörens, sondern um ein Ende im Sinn eines Zieles und Zweckes. Auch hier gibt es wenigstens zwei Möglichkeiten. Die eine fand ihre klassische Formulierung im 19. Jahrhundert, als Marx die an sich völlig zufällige Herausbildung des kapitalistischen Weltmarkts mit einer weltgeschichtlichen Eskalation sozialer Kämpfe zusammenbrachte, die diesen Zufall in eine „Assoziation“ aufheben sollte, „worin die freie Entwicklung einer jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“[4]

Die zweite Möglichkeit verdankt ihre Formulierung eben Fukuyama und weicht im Ansatz gar nicht von der Marx’ ab: beide folgen insoweit Hegel. Der Unterschied ums Ganze liegt darin, dass Fukuyama dieses Ende de jure 1789, de facto 1989 platziert: den Eckdaten, zwischen denen sich in der Dreifaltigkeit von Menschenrechten, konstituierter Demokratie und freier Marktwirtschaft der Horizont schließt, in dem sich von nun an alles Werden halten soll.

Für den erklärtermaßen historistischen Hauptstrom zeitgenössischer Gesellschaftstheorie war Fukuyamas wie zuvor schon Marx’ Ausgriff auf ein im hervorgehobenen Sinn verstandenes Ende der Geschichte bloß eine metaphysische Exaltation und deshalb ebenso überzogen wie eigentlich müßig. Wenn The End of History dennoch den Konsens des politischen Denkens im Ausgang des 20. Jahrhunderts formulierte, lag dies daran, dass Fukuyamas Dreifaltigkeit damals tatsächlich als unüberschreitbar galt. Das teilen selbst so wichtige Denker einer kritischen Theorie der Gesellschaft wie Jürgen Habermas und Michel Foucault. Denn obwohl sich Habermas im Horizont des Kapitalismus immerhin auf die Vollendung des „Projekts der Moderne“ verpflichtete und Foucault eben diesen Horizont nur als Reibungsfläche ungezähmter anarchischer Widerstände in den Blick nahm, stimmten beide Fukuyama in der Anerkennung der Unüberschreitbarkeit des weltumspannenden Kapitalverhältnisses zu: und sei es, weil sie sich – wie Foucault – von der Idee eines Ganzen der Geschichte und deshalb auch eines ihm einbeschriebenen Endes absetzen wollten.

An dieser von fast allen Gesellschaftstheorien aus unterschiedlichen Gründen und in unterschiedlicher Tonlage geteilten Resignation hängt die dritte Bedeutung der Rede vom Ende der Geschichte, ihre strategische Bedeutung. Diese zeigt sich in dem Faktum, dass dieselbe Resignation um den Jahrhundertwechsel herum alle Strömungen der politischen, sozialen und kulturellen Linken, mit ihr aber nahezu alle Gesellschaften dieser Welt befiel. Aus diesem Faktum, besser: aus dieser Pathologie resultiert die eigentümliche Auszehrung des Politischen, die heute selbst dort noch nicht überwunden ist, wo sich der erbärmliche Zustand der Welt längst wieder in sozialen Revolten artikuliert. Zu zeigen bleibt deshalb, dass eine Beendigung dieses Weltzustands durch seine Aufhebung in eine ganz andere Welt trotzdem eine Möglichkeit unserer Epoche ist: nicht mehr, aber auch nicht weniger.

 Empire oder nicht

 Einer näheren Bestimmung der Möglichkeiten unserer Epoche steht zunächst der Streit im Wege, ob sie die des Empires oder eine solche des Imperialismus sei. Unter letzterem wird, sehr grob gesprochen, das Streben kapitalistischer Territorialstaaten verstanden, durch die oft gewaltförmige Aneignung und Ausbeutung fremder Territorien die Vorherrschaft über andere Territorialstaaten zu gewinnen. Dem gegenüber behaupten Theorien des Empires, voran die von Michael Hardt und Antonio Negri, dass es in der Konkurrenz der Territorialstaaten zwar immer noch um deren je eigenen Vorteil, darüber hinaus aber immer auch um die möglichst gemeinsame Lösung eines nicht mehr nur territorialstaatlichen Problems geht – des Problems, Weltordnung zu schaffen und in einem Imperium auf Dauer zu stellen: „Empire ist als Untersuchungsfeld in erster Linie durch die simple Tatsache bestimmt, dass es eine Weltordnung gibt.“[5]

Den Tenor der imperialismustheoretischen Einwände gegen diese These formuliert eine Polemik, die Hardt/Negri „Bluff, Kitsch und Affirmation“ vorwirft: Bluff infolge des Verzichts auf sozialwissenschaftlich disziplinierte Deckung, Kitsch infolge der im Multitudenbegriff behaupteten Rückkehr einer revolutionären Subjektivität, und Affirmation infolge des strategischen Ratschlags, „dass man sich der Globalisierung des Kapitals nicht widersetzen, sondern vielmehr diesen Prozess noch beschleunigen solle.“ Im letzten und sachlich schwerwiegendsten Vorwurf verweist die Polemik auf die „Konvergenz“, die in diesem Punkt zwischen Hardt/Negris Theorie des Empire und dem Herrschaftsdiskurs der „Global Governance“, aber eben auch dem Diskurs Fukuyamas besteht, für den das Empire allerdings das Ende der Geschichte markiert.[6]

Kommentar (2): Der Kapitalismus als höchstes Stadium bisheriger Weltgeschichte.

Die Relevanz des Streits um Empire und Imperialismus liegt in der Sache daran, dass an ihm nicht weniger hängt als der Begriff der Epoche selbst. Historisch führt er auf Lenins Unterstellung eines „höchsten Stadiums“ des Kapitalismus zurück. Für Lenin war der Imperialismus die Formation des Kapitalismus, „wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist.“ Dabei fügt Lenin vier Momente zusammen:

(a) die Konzentration der Produktion unter dem Kommando global operierender Monopole,

(b) die Finanzialisierung der Produktion im Zug der Verschmelzung von Industrie- und Bankkapital,

(c) den Vorrang des Kapital- vor dem Warenexport,

(d) ) ein finales Arrangement der „kapitalistischen Großmächte“ in der „Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde.“[7]

Das letzte Moment zieht gleichsam die Folgerung aus den drei ersten und mündet in die Hypothese, nach der sich der Kapitalismus in seiner imperial(istisch)en Phase erschöpft habe und unvermeidlich eine „Tendenz zur Stagnation und Fäulnis“ ausbilde, deshalb ein „Übergangskapitalismus oder, richtiger, ein sterbender Kapitalismus“ sei.[8]

Weil Hardt/Negri aus dieser Hypothese ihre strategische Bejahung des Empire gewinnen, wirft ihnen die oben zitierte Polemik die Affirmation der bestehenden Herrschaftsverhältnisse vor. Sie tut dies umso entschiedener, als die beiden Autoren sich dabei offen auf die traditionsmarxistischen Kreisen sowieso suspekte Geschichtsphilosophie Deleuze/Guattaris beziehen: „Widerstand gegen das Empire lässt sich nicht durch ein Projekt leisten, das auf eine begrenzte, lokale Autonomie abzielt. Wir können nicht zurück zu irgendeiner früheren Gesellschaftsform und auch nicht vorwärts in die Isolation. Vielmehr müssen wir durch das Empire hindurch, um auf die andere Seite zu gelangen. Gilles Deleuze und Félix Guattari waren der Ansicht, dass man sich der Globalisierung des Kapitals nicht widersetzen, sondern vielmehr diesen Prozess noch beschleunigen solle. ‚Aber welcher revolutionäre Weg’, so fragen sie, ‚ist überhaupt einer vorhanden? — Sich (…) vom Weltmarkt zurückziehen (…)? Oder den umgekehrten Weg einschlagen? Das heißt mit noch mehr Verve sich in die Bewegung des Marktes, der Decodierung und Deterritorialisierung stürzen?’ Das Empire lässt sich nur dann wirksam bekämpfen, wenn man ihm auf gleicher Ebene begegnet und die Prozesse, die es charakterisieren, über deren augenblickliche Grenzen hinaustreibt. Wir müssen diese Herausforderung annehmen und lernen, global zu denken und zu handeln. Der Globalisierung muss mit Gegen-Globalisierung begegnet werden.“[9]

Die politische Brisanz des theoretischen Streits lag in seinem Einfluss auf die globalisierungskritischen Bewegungen der Zeit von 1999 – 2007, der ersten tendenziell antikapitalistischen Massenbewegung nach 1989: Soll man den eigenen Namen wörtlich nehmen und die eigene Aktion als Widerstand gegen den Prozess kapitalistischer Globalisierung begreifen, der sie zu bremsen, zu stoppen, umzukehren sucht, auf „De-Globalisierung“ drängt?[10] Oder setzt Globalisierungskritik umgekehrt auf die Beschleunigung der „Tendenz zur Stagnation und Fäulnis“ im Globalisierungsprozess?

Der Begriff der Imperialität bricht die verfestigten Frontlinien des Streits um Empire und Imperialismus auf, indem er den Akzent auf den Umstand legt, dass es dabei weniger um ein Entweder-Oder von Empire und Imperialismus als um das „Basisparadigma“[11]unsererEpoche geht, also um das strategisch maßgebende Beispiel (gr. parádeigma), dem die imperialen Organe der Global Governance ebenso zu folgen haben wie die imperialistischen Territorialstaaten.

Basisparadigmatischen und deshalb zwingenden Charakters ist Imperialität Rilling zufolge, weil der globale Kapitalismus „ob man will oder nicht die Frage nach einem planetaren Arrangement der politischen Gestalt dieser Ordnung auf(wirft). Globalisierung meint ja nicht einfach bloß Austausch von Materialien, Waren oder Arbeit(skraft) oder Interaktion und Akteur_innenvernetzung, sondern Globalisierung der Waren-, Geld- und Kapitalmärkte, des Kapitalverhältnisses (zwischen Eigentümern und Nicht-Eigentümern an Produktionsmitteln) und der Konkurrenz, ein Arrangement also, das diese Tauschprozesse und Interaktionen zu vermitteln vermag und hierzu eine global wirksame rechtliche und politische Form benötigt, in der sich zugleich staatliche und private Herrschaftsverhältnisse und eine entsprechende Positionierung ihrer Repräsentant_innen im globalen Machtraum der Politik ausdrücken.“[12]

Kommentar (3): Weltgeschichte und Weltordnung.

Gehen wir Rillings Bestimmung der Imperialität noch einmal durch. Sie wird als geopolitisches „Basisparadigma“ eingeführt, also als eine Logik, nach der sich Geopolitik richtet und nach der sie deshalb auch verständlich wird. Dieser Logik haben sich sowohl die imperialistischen Territorialstaaten als auch imperiale Institutionen wie NATO, G8/G20, IWF, UN usw. zu beugen. Damit löst Rilling das Entweder-Oder im dialektischen Streich auf: Territorialstaaten und Governance-Organe sind im Letzten gleichermaßen genötigt, Imperialität herzustellen, zu sichern oder zu erweitern, d.h. imperial zu handeln, wollen sie sicherzustellen, dass sich aus ihrer Interaktion mit den anderen Weltmächten Weltordnung ergibt.

Was aber sind Politiken der Imperialität, und was ist die aus ihnen resultierende Weltordnung? Imperiale Politiken sind Vermittlungsprozeduren, deren Ziel die Ausarbeitung, Durchsetzung und Sicherung eines „planetaren Arrangements“ ist. In diesem Arrangement soll der primär ökonomisch getriebene Globalisierungsprozess eine angemessene „politische Gestalt“ gewinnen. Mit der „politischen Gestalt“ des „planetaren Arrangements“ ist der Unterschied zwischen einer quasi naturwüchsig entstandenen und einer ausdrücklich vollzogenen Weltordnung gemeint, einer Weltordnung also, die sich auf sich selbst als auf eine solche Ordnung bezieht. Die Zuarbeit aller Beteiligten zu diesem Arrangement ergibt sich, das ist Rillings wichtigster Punkt, „ob man will oder nicht“ – womit gemeint ist: um den Preis von Bestand oder Untergang des Gesamtzusammenhangs. Dies ist so, weil es im globalen Kapitalismus eben nicht geradehin um den „Austausch von Materialien, Waren oder Arbeit(skraft) oder Interaktion und Akteur_innenvernetzung“ geht, sondern um ein immer auch in einer „rechtlichen und politischen Form“ auf sich reflektiertes Weltweit-Werden von „Waren-, Geld- und Kapitalmärkten, des Kapitalverhältnisses (zwischen Eigentümern und Nicht-Eigentümern an Produktionsmitteln) und der Konkurrenz.“

Imperialität zielt deshalb auf die Schaffung und Sicherung der rechtlich-politischen Form eines „globalen Machtraums der Politik“, der die globalen Tauschprozesse und die sie hervorbringenden wie von ihnen hervorgerufenen Interaktionen ebenso justiert wie die ihnen entsprechenden staatlichen und privaten Herrschaftsverhältnisse samt den dazugehörigen Positionen der Vergesellschaftung und Vereinzelung. Dieser „globale Machtraum der Politik“ vermittelt dann auch und gerade die als solche fortdauernde imperialistische Konkurrenz, und er tut dies auf ihre Imperialität hin, d.h. auf ihre Funktionalität in einer Weltordnung, die nicht nur de facto, sondern auch de jure Weltordnung wäre. Das schließt Aktionen von Mächten ein, die sich dieser Imperialität verweigern oder sich ihr ausdrücklich entgegenstellen. Kommt solchen Mächten keine und sei es unwillentliche Funktionalität im „globalen Machtraum“ zu, werden sie zu Störfaktoren, die früher oder später aus dem imperialen Arrangement auszuschließen oder merklich zu schwächen sind. „Anti-imperial“ im formalen Sinn des Begriffs sind deshalb alle Mächte, die sich der imperialen Weltordnung in einer Weise widersetzen, die dieser Ordnung auf kürzere oder längere Sicht unverträglich ist. Historisch konkret öffnete sich das Feld der Anti-Imperialität mit Pariastaaten der Weltordnung wie dem von den Taliban regierten Afghanistan oder dem Iran der Mullahs, schließt aktuell aber auch die verschiedenen Linksregierungen Lateinamerikas und die noch ungebändigten, aber auch unreifen Revolten ein, die zwischen Imperialität und Anti-Imperialität gravitieren. Einen weiteren Kreuzungspunkt markieren die zunehmend machtvolleren mafiotischen Netzwerke; sofern sie die imperialen Eliten ebenso durchdringen wie Segmente der Multituden, ist an ihnen zu lernen, dass die Kräfte des Empire und ihre Gegenkräfte zunächst nie sauber zu trennen sind. Hierher gehört Hardt/Negris Bestimmung des Empire als eines „biopolitischen“, mit dem der Akzent auf den Umstand gelegt wird, dass die ebenso unausdrückliche wie zwingende Nötigung allen ökonomischen, juridischen und politischen Handelns zur Imperialität in ihrerseits globalisierten und deshalb imperial zu nennenden Lebensweisen und ihnen einbeschriebenen Denkformen gründet.[13] Tatsächlich ist erst in der Alltäglichkeit von Lebensweisen angemessen zu fassen, was Rilling meint, wenn er den „globalen Machtraum der Politik“ staatliche und private Herrschaftsverhältnisse umschließen lässt.

1789/1989

Mit Fukuyamas These vom Ende der Geschichte ist das Imperialitätsparadigma insofern verbunden, als die historische Einzigartigkeit des Kapitalverhältnisses eben nicht nur an seiner wortwörtlichen Universalität, sondern auch an einer Universalität im hervorgehobenen Sinn des Begriffs hängt. Rilling verweist dazu auf den Unterschied des Kapitalverhältnisses zu wirklich allen anderen historischen Vergesellschaftungsweisen: politisch nicht „auf rechtlichen Ungleichheiten oder der Ungleichheit politischer Rechte“ zu beruhen und deshalb sogar den für alle außer-rechtlichen Ungleichheiten grundlegenden „Kauf und Verkauf von Arbeitskraft über das rechtliche Medium des Vertrages zwischen freien und gleichen Individuen“ zu regeln. Weil das Kapitalverhältnis auf der Eigentumslosigkeit der von Arbeitslöhnen Abhängigen und der darin gesetzten ökonomische Erpressung ebenso aufruht wie auf deren dem Sinn nach egalitären Verrechtlichung, „kann der Kapitalismus mit einer Ideologie der Freiheit und Gleichheit existieren wie keine andere Herrschaftsordnung vor ihm.“[14]

Fukuyama zufolge beginnt sich die Kluft zwischen Ideologie und Realität in dem Augenblick zu schließen, in dem die im weltgeschichtseröffnenden Ereignis der Französischen Revolution nur erst behauptete Immanenz von de facto hergestellter kapitalistischer Weltordnung und de jure universalem Ende (Zweck) der Geschichte im weltgeschichtsvollendenden Fall der Berliner Mauer eine Evidenz gewinnt, der sich zumindest in rationaler Argumentation niemand mehr entziehen könne: Seit 1989, so Fukuyama, seien alle politischen Probleme de jure und de facto nur noch innerhalb der Weltordnung zu stellen und zu lösen, in der sich die Freiheit des Weltmarkts an der Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen orientiert und andersherum. In einer Hardt/Negri, aber auch Marx nicht fernen Wendung erkennt er die Garantiemacht dieser Dialektik in der informationstechnologischen Produktionsweise des zeitgenössischen Kapitalismus, in der die körperliche Arbeit zunehmend durch geistige Arbeit ersetzt werde.[15] Entscheidend daran sei, dass sich in der weltgesellschaftlichen Verallgemeinerung geistiger Arbeit auch und gerade die subjektiven Fähigkeiten verallgemeinern, durch die sich das politisch und juridisch konstitutionalisierte Ende (Zweck) der Geschichte im Alltag eine_r jeden realisiert und darin gelebte Einrichtung, „objektiver Geist“ wird.

Kommentar (4): Weltgeschichte und Weltrevolution.

Indem Fukuyama das Ende der Geschichte auf den politischen Akt der Französischen Revolution zurückspurt, ruft er das Ereignis auf, mit dem Weltgeschichte überhaupt möglich wurde. Für Fukuyama wie für Hegel und Marx handelt es sich dabei um die nachträgliche Bestimmung eines historischen Kontinuums, das als so bestimmtes immer schon (also auch schon vor 1789) auf die Freiheit und Gleichheit ausnahmslos aller seiner Teilnehmer_innen zielte. Dem entspricht dann, dass die Nachgeschichte der Französischen Revolution de facto und de jure zum Kampf um das im weltrevolutionären Gründungsereignis dem Gesamtprozess vorausgesetzte Ende wurde. Nicht nur für Fukuyama markiert die „Blockkonfrontation“ der westlich-kapitalistischen und der östlich-staatssozialistischen Weltmächte den entscheidenden Abschnitt dieses Prozesses; mit dem 1989 erreichten Sieg des Westens treten wir, Fukuyama folgend, doch im Begriff Hardt/Negris gefasst, ins Empire ein. Auf den Punkt gebracht liegt dessen Aufgabe darin, Weltgeschichte nicht länger zu „machen“, sondern zu verwalten.

Fukuyamas geschichtsphilosophische Spekulation kreuzt die von Marx und Hardt/Negri allerdings noch in einem zweiten Punkt: der methodischen und sachlichen Bewährung an Prozessen, die dem Kapitalismus tatsächlich immanent sind. Hardt/Negri sprechen hier von der Transformation des industriell basierten zum biopolitischen Kapitalismus, in dem die Ausbeutung der Arbeitskraft nicht nur, doch wesentlich an folgenden Momenten festzumachen ist:

a.) am Primat „immateriellen“ bzw. „affektiven“ Arbeitskraft der informationstechnologisch vermittelten Wissens-, Beziehungs- und Kommunikationsproduktion vor der „materiellen“ Arbeitskraft der Rohstoffgewinnung, der Landwirtschaft und der Industrie.[16]

b.) an der räumlichen und zeitlichen Entgrenzung der Arbeit auf das Ganze allen Lebens und die ganze Erde,

c.) an der konsequenten Finanzialisierung der biopolitischen Produktion als der tendenziell postpolitischen Weise ihrer Regulation.

Exakt hier aber begegnen wir der praktischen Ironie des weltgeschichtlichen Prozesses, die über Fukuyamas Ende der Geschichte mittlerweile ebenso hinweggegangen ist wie über die prominenteste, nämlich die Hegelsche Proklamation eines schon erreichten Schlussakkords des Welt-Werdens. Die zugleich ethische, politische, gesellschaftstheoretische und geschichtsphilosophische Lehre dieser Ironie liegt nun aber nicht in der kleingeistigen Verleugnung eines solchen Akkords, die den Konsens des aktuell noch hegemonialen Historismus ausmacht. Statt der im eigenen Anspruch libertären, tatsächlich aber resignativen Reduktion der Geschichte auf ein ziel- und zweckloses Werden wäre dann festzuhalten, dass Fukuyama wie vor ihm Hegel schlicht zu kurz gesprungen ist. Demzufolge besteht die vom Empire gestellte Herausforderung darin, das Zusammentreffen des historisch bloß zufälligen Weltweit-Werdens von Kapital, konstituierter Demokratie und Menschenrecht mit dem Weltweit-Werden der Freiheit noch einmal tiefer zu durchdenken als Fukuyama.

Risse im Empire

Wie tief das in der Immanenz von Ordnung der Welt und Ende der Geschichte legitimierte Imperialitätsparadigma in das politische Imaginäre der Epoche eingesenkt wurde, zeigte sich gerade in dem Augenblick, als mit den Anschlägen des 11. September 2001 und der folgenden „Operation Enduring (!) Freedom“ erste Risse im Empire sichtbar wurden. Das lag zunächst einmal an der unerhörten Wucht der Anschläge selbst: Unversöhnlicher hätte die von Fukuyama gerade erst ausgeschlossene Wiederkehr eines zumindest dem Anspruch nach antagonistischen Widerspruchs kaum behauptet werden können. Wenn die fundamentalistische Herausforderung dann aber nur zur Verstärkung der paradigmatischen Funktion imperialer Politik führte, lag und liegt dies daran, dass der Widerspruch zwischen dem Fundamentalismus als der aggressivsten Variante aller Anti-Imperialität und dem Liberalismus als der hegemonialen Form von Imperialität gerade kein antagonistischer war und ist. Stattdessen fügt er sich zu einem „System des Druckausgleichs“, in dem das scheinbare Entweder-Oder bloß der Abfuhr von Energien dient, die andernfalls tatsächlich über die herrschende Weltordnung hinaustreiben könnten.[17] Erreicht wird das durch die von Liberalismus und Fundamentalismus artikulierte Komplementarität von Transzendenzverleugnung und Immanenzverachtung, in der das Empire von beiden Seiten als unüberschreitbarer Horizont der Geschichte anerkannt wird: vom Liberalismus in affirmativer, vom Fundamentalismus in negativer Weise. Die Aussichtslosigkeit der fundamentalistischen Negativität beweist sich in ihrer radikalen Verachtung allen Lebens, die ihren konsequenten Ausdruck auch deshalb im Selbstmordattentat gefunden hat.[18]

Kommentar (5): Weltgeschichte und Religionsgeschichte.

Eine der Schwächen im Denken von Marx liegt in der Leichtfertigkeit, mit der er die Kritik der Religion zwar zur „Voraussetzung aller Kritik“ erhob, sie aber schon im Jahreswechsel 1843/44 für „im wesentlichen beendigt“ hielt.[19] Folgt man Marx im Rückverweis von Geschichtsphilosophie und Gesellschaftstheorie an die Kritik der politischen Ökonomie, liegt heute auf der Hand, dass ihr eine fortgesetzt zu vertiefende Kritik der Religion an die Seite gestellt werden muss. Im Licht einer solchen Doppelstrategie wäre Weltgeschichte zugleich als Produktions- und als Religionsgeschichte zu denken; eine zugleich methodische und sachliche Neuorientierung, mit der die Dialektik weiter aufgeklärt wird, die das marxistische Denken als berüchtigte „Wechselwirkung“ von Basis und Überbau heimsucht. Das schließt allerdings ein, die Kritik der Religion im doppelten Genitiv zu praktizieren: als Kritik an der Religion und als eine Kritik, die in noch zu klärendem Sinn selbst religiös, besser vielleicht: religionsgeschichtlich sein muss.

Zu den wichtigsten Kategorien so verstandener Kritik gehören dann aber die von der Theologie in die Philosophie und dann die Politik übergewanderten Begriffe der Immanenz und der Transzendenz – Begriffe zugegebenermaßen, die so überdeterminiert sind, dass ihre Bedeutung kaum einzuhegen ist. Hier soll dies in doppelter Weise geschehen: Sie sollen zum einen die Spaltung der Welt bzw. der Erfahrung in ein Innen oder Diesseits (Immanenz) und ein Außen oder Jenseits (Transzendenz), zum anderen das Vermögen der Überschreitung dieser Spaltung bedeuten, für das dann wiederum der Begriff der Transzendenz steht. Das als Ende der Geschichte gedachte Empire Fukuyamas wäre dann eine Immanenz ganz in sich, weil es von keiner Transzendenz mehr bedroht wäre: weder von einem Außen oder Jenseits, noch von einem Vermögen zur Überschreitung.[20]

Der Liberalismus ist so verstanden die ethische, politische und philosophische Position, die diese Immanenz in sich bejaht. Konsequenterweise hält er Religion zwar nicht prinzipiell für sinnlos, begrenzt sie aber auf den Status einer Privatsache, der mit Toleranz zu begegnen sei, sofern sie das ihrerseits auch tut. Der Fundamentalismus widerspricht dem Liberalismus zuerst in der Folgerung: das Ziel seines Begehrens ist ihm gerade nichts Privates, sondern gibt umgekehrt das Maß vor, dem sich mit allem anderen auch die Politik zu beugen hat. Weil der Gott dieser Religion als „Herrensignifikant“ im Sinn Lacans funktioniert, kann anderswo ein anderes „höchstes Gut“ wie die „Rasse“, die Nation, die Republik oder das Menschenrecht seinen Platz einnehmen, um als „großer Anderer“ Achtung zu erwecken und zu gewähren und deshalb jedes Opfer zu rechtfertigen.

Bezeichnenderweise kommen Fundamentalismus und Liberalismus in der Verwerfung des Kommunismus überein. Sie verdanken diesem Akt zugleich ihre Hegemonie in der Selbstdeutung einer Epoche, die vorgibt, keine kommunistische Option mehr zu kennen. Dabei unterscheiden sich beide in der Stellung im imperial geschlossenen Diesseits. In der Regel vertritt der Liberalismus die Position derjenigen, die im Empire mehr oder minder komfortabel zurechtkommen. Dem entspricht, dass sich diese Position primär als eine solche der Transzendenzverleugnung artikuliert und deshalb mit der Zustimmung zur Imperialität einhergeht. Der Fundamentalismus vertritt demgegenüber – wiederum nur in der Regel! – die Position derjenigen, die von ihren miserablen Aussichten im Empire zur Immanenzverachtung genötigt werden; dem entspricht, dass der Fundamentalismus zu Positionen der Anti-Imperialität tendiert. Inmitten dieses Entweder-Oder entfaltet sich die dritte Option als deshalb auch immanente Transzendenz, sofern sie in ihrer Kritik der Religion eine radikal diesseitige Immanenzbejahung ausdrückt, dieses Ja aber ihrer gleichzeitigen Bejahung von Transzendenz verdankt: ihrem Ja zur Überschreitung des vom Empire verwalteten „jetzigen“ Weltzustands.

Diese zugegebenermaßen dichten Bestimmungen führen von sich aus zu weiteren Komplikationen, von denen die zwei wichtigsten genannt seien. Gemeint ist einmal der Umstand, dass der Kapitalismus von keinem Geringeren als Marx selbst ebenfalls als Religion gefasst wurde: dies ist der Punkt, den Marx im „Fetisch“-Kapitel des Kapitals setzt.[21] Dabei geht die Kapitalbewegung noch über ihre liberale Apologetik hinaus und führt in der allesverzehrenden und derart apokalyptischen Verwertung des Werts Transzendenzverleugnung und Immanenzverachtung zusammen.

Gemeint ist zum anderen, dass die Antikommunist_innen aller Länder jedenfalls darin Recht hatten und haben, auch den Kommunismus als Religion zu bezeichnen – wenn auch als eine Religion des Diesseits als einer Weltgeschichte radikalen Sinns. Doch obwohl das religiöse Moment der Bewegung in ihrer ebenso massenmobilisierenden wie kaderbildenden „Messianizität“ (Derrida) weltgeschichtsmächtig wurde, wurde es von den maßgeblichen Kommunist_innen des 19. und 20. Jahrhunderts, Marx eingeschlossen, nicht nur verkannt, sondern offensiv verleugnet. Der Preis dafür war einerseits die Verkehrung des ursprünglich subjektiven Einsatzes in einen Diskurs „objektiver“ Interessen, und andererseits die Wehrlosigkeit gegenüber den eigenen fundamentalistischen Entstellungen.

Natürlich schließt der hier unterlegte Begriff von Religion Differenzierungen ein, die so weit auseinanderklaffen, dass die Einheit von Begriff und Sache fraglich wird. In einem formalen Gebrauch des Begriffs wird Religion hier zunächst wörtlich verstanden, vom lateinischen re-ligio her, das einerseits mit Rückbindung, andererseits mit Scheu, Skrupel, Gewissensregung, Achtung zu übersetzen ist. Den unter diesem Begriff versammelten Phänomenen (Kapitalismus und Kommunismus eingeschlossen) wird dann eine existenziale Struktur von Religiosität vorausgesetzt, in der sich ein allen objektorientierten Bedürfnissen vorausgehendes Seinsbegehren je in ein Widerspiel einerseits einer radikalen Achtung des Lebens und andererseits einer ebenso radikalen Bereitschaft zu seiner Hingabe ausdifferenziert. Liberale Transzendenzverleugnung und fundamentalistische Immanenzverachtung sind dann als Extrempositionen dieser Religiosität zu verstehen: einerseits als Radikalform des Ablassens vom Begehren zugunsten des herrschenden „Systems der Bedürfnisse“ (Hegel), andererseits als eine Opferung des Lebens, die nicht seiner Achtung, sondern seiner radikalsten Missachtung entspringt. Wie anderswo auch, entfaltet sich die dritte Option deshalb auch hier nur aus der Durchkreuzung des ihr vorgegebenen Entweder-Oder: in diesem Fall des Entweder-Oder von liberaler Säkularität und fundamentalistischer politischer Theologie. Religionsgeschichtlich verstanden, erschließt sich die Nötigung zur Imperialität von diesem Entweder-Oder her als die Nötigung zur Ordnung einer Welt, die in sich selbst nihilistisch, weil zugleich transzendenzverleugnend und immanenzverachtend ist. Der Akt der Durchkreuzung gewinnt seine ethische, politische und philosophische Schärfe dann aber dort, wo klar wird, dass die Konfusion von Transzendenzverleugnung, Immanenzverachtung und immanenter Transzendenz immer auch eine Sache alltäglicher Lebensweisen ist: der unseren. Für die Bewegungen aber heißt das, ihre religionsgeschichtliche Dimension nicht länger zu verkennen oder zu verleugnen, sondern eigens zu politisieren.

Zum bestandssichernden System des Druckausgleichs gehören aber nicht nur liberale Transzendenzverleugnung und fundamentalistische Immanenzverachtung, sondern auch die Widersprüche zwischen den imperialen Eliten. Agierten die Subzentren der Imperialität direkt nach 9/11 zunächst als nun auch formell föderiertes Empire, brachen mit dem Einmarsch in den Irak 2003 Differenzen auf, die bald durch Konflikte in den Governance-Strukturen verstärkt und seit dem offenen Ausbruch der Finanzialisierungskrise 2008 tendenziell zu direkten Konfrontationen führen. Aktuell zeigt sich das am ehesten in den Auseinandersetzungen um Iran und Syrien: also wiederum auf Schlachtfeldern, auf denen Liberalismus und Fundamentalismus im Versuch gegenseitiger Vernichtung immer auch auf die Ausschaltung der dritten Option zielen.[22] Dabei drücken sich in der permanenten Auseinandersetzung um den UN-Sicherheitsrat, aber auch in der Ersetzung des G8- durch das G20-System und aktuell in den direkten Interventionen von Finanzeliten in die Politik einzelner EU-Staaten eben nicht nur Verschiebungen in der Konkurrenz der Territorialstaaten (Aufstieg Chinas bzw. der BRIC-Staaten, Nord-Süd-Spaltung der EU) aus, sondern immer auch deren Funktionalität in der Sicherung von Weltordnung im Interesse an eben solcher Weltordnung. Wenn alle Imperialität zugleich nie mehr als eine Neujustierung fortdauernder Krisen und deshalb nie anders als höchst prekär bleibt, bestätigt das die strukturelle Nötigung zur Imperialität. Tatsächlich ist die Krise „der imperialen Kontrolle inhärent“: „In dieser Hinsicht erscheinen Verfall und Untergang des Empire nicht als diachronische Bewegung, sondern als synchrone Wirklichkeit. Die Krise durchzieht jedes Moment der Entwicklung und Neuzusammensetzung von Totalität.“[23] In Rillings Worten: „ob man will oder nicht.“

Kommentar (6): Weltweite Krise und automatisches Subjekt.

Den aktuell schlagendsten Nachweis für den synchronen Charakter von „Verfall und Untergang des Empire“ liefert die offenkundige Unfähigkeit der imperialen Eliten, der Krise der Finanzialisierung etwas anderes entgegenzusetzen als die noch einmal vertiefte Finanzialisierung, die seit 2008 die Gesellschaften Südeuropas verwüstet. Dies wiederum liegt nicht nur an einer ideologischen Verblendung der imperialen Entscheidungsträger_innen und ihres Klientels in der „Mitte der Gesellschaft.“ Es liegt auch an dem Faktum, dass die Finanzialisierung keine parasitäre Fehlfunktion im gesunden Körper der „Realwirtschaft“ ist, sondern die einzig verbliebene Weise, ihn im Interesse seiner globalisierten kapitalistischen Verwertung überhaupt noch zu steuern: besser als sprichwörtlich gar nichts. So gesehen ist De-Globalisierung eben nicht nur für die Gegenkräfte zum Empire, sondern auch für seine Eliten kein gangbarer Ausweg: der Weltmarkt ist Schicksal geworden. Insofern ist der sich selbst verwertende Wert tatsächlich das „automatische Subjekt“[24] des Untergangskapitalismus – solange jedenfalls, bis die „wirkliche Bewegung“ seiner Aufhebung den Vorrang des Klassen- vor dem Kapitalverhältnis realisiert.

Teil 2: Fünf Hypothesen zur wirklichen Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.

Sorgt der Pseudo-Antagonismus von Transzendenzverleugnung und Immanenzverachtung für den Druckausgleich, ist es kein Zufall, dass seine Aufgipfelung im Krieg gegen den Irak zugleich zur ersten Probe eines tatsächlichen Antagonismus wurde. Zur Entscheidung kam diese Probe am 15. Februar 2003, als sich in weltweit 600 Städten bzw. 50 Ländern geschätzte zehn Millionen Menschen zur mit Abstand größten Demonstration der bisherigen Weltgeschichte vereinten. Historisch bildete diese Demonstration den Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegungen, die sich zuerst in Seattle (1999) manifestierten und den Abschluss ihres ersten Zyklus in Heiligendamm (2007) fanden. Anlass waren jeweils hochrangige imperiale Zusammenkünfte: in Seattle eine Konferenz der WTO, in Heiligendamm eine Tagung der G8. Waren global organisierte „Gipfelproteste“ ihre wesentliche Ausdrucksform, organisierte sie ihren Zusammenhang durch lokale, nationale, kontinentale und globale „Sozialforen“.

Allerdings: Markiert die Februar-Demonstration 2003 den überwältigenden Höhepunkt dieser Bewegungen, muss zugleich eingeräumt werden, dass sie die ihr darin gestellte Probe nicht bestanden haben. Ausgesprochen hat das die indische Schriftstellerin Arundhati Roy in ihrer Rede auf dem 4. Weltsozialforum in Mumbai: Statt symbolisch gegen den imperialen Krieg zu protestieren und sich gleichermaßen symbolisch an die Seite des irakischen Widerstands zu stellen, hätten die Bewegungen selbst, in eigenem Namen und je am eigenen Ort, zum effektiven Widerstand gegen Krieg und Imperialität werden und derart global die Machtfrage stellen müssen.[25] Doch war die Machtfrage genau das, was die Bewegungen weder stellen konnten noch stellen wollten, obwohl sie der bis dahin allseits bestätigten Immanenz der imperialen Welt ausdrücklich den Anspruch auf die Transzendenz einer „anderen Welt“ entgegensetzten und sich ihrem reifsten Selbstausdruck nach „altermondialistische“ Bewegungen nannten. Sie konnten und wollten es nicht, weil sie sich selbst im System des Druckausgleichs verfingen, vor der notwendig auf die Machtfrage führenden Selbstermächtigung zurückwichen und derart hinter ihrer eigenen Aktion zurückblieben. Es ist dieser Abstand des tatsächlichen Antagonismus auf sich selbst, der in den Jahren 2010/2012 erstmals überbrückt wurde und den Tahrir-Platz zum weltgeschichtlichen Ort gemacht hat.

Kommentar (7): Zufall und Notwendigkeit der je eigenen weltgeschichtlichen Existenz.

Zum Funktionieren des Druckausgleichs gehört, dass der Pseudo-Antagonismus von Liberalismus/Imperialität und Fundamentalismus/Anti-Imperialität von interessierter Seite auf die Konfrontation von Liberalismus und sog. „Islamismus“ verengt wurde. Mehr als bloß zufällig ist dann allerdings, dass der Übergang von der 2003 eben nur symbolisch beanspruchten zur 2010/2011 zumindest ansatzweise vollzogenen Transzendenz des Pseudo-Antagonismus in den arabischen Ländern begann: dort also, wo sich die Frage nach einem Ausweg aus dem System des Druckausgleichs am dringlichsten stellt. Der verborgene Zusammenhang von Zufall und Notwendigkeit führt dabei ganz und gar nicht zufällig auf das weltrevolutionäre Gründungsereignis des Jahres 1789 zurück, genauer gesagt: auf die Spuren, die es exemplarisch im Leben des Sayyid Muhammad ibn Safdar al-Husseini (1838 – 1897) hinterließ. Unter dem Namen al-Afghani („der Afghane“) war dieser weltrevolutionäre Aktivist, freimaurerische Aufklärer und Theologe zunächst der führende Intellektuelle einer von der Französischen Revolution inspirierten Moderne islamischer Herkunft, bevor er zum theoretischen und praktischen Begründer der fundamentalistischen Salafiyya-Bewegung wurde. Vermutlich im Iran geboren, führte ihn sein Aktivismus von dort durch den Irak, die Türkei, Afghanistan, Indien, Ägypten, Großbritannien, Frankreich und Russland wieder in die Türkei, wobei er sich in manchen dieser Länder mehrmals aufhielt. In der Rückwendung vom revolutionären Demokraten und Religionskritiker zum Gründer der Salafiyya zog al-Afghani nicht nur seine Folgerung aus der Krise der europäischen Revolution, die gewaltsamer noch als in Europa in den Verwüstungen zum Tragen kam, die europäische Imperialismen im 19. Jahrhundert vor allem in den arabischen Ländern, auf dem indischen Subkontinent, in China und Japan anrichteten. In der Artikulation dieser Erfahrung wurde al-Afghani zum Stichwortgeber eben nicht nur des Ayatollah Khomeini, sondern so unterschiedlicher Revolutionäre wie Mahatma Gandhi und Mao Zedong und dient uns noch heute als eine Schlüsselfigur zum Verständnis der Verwerfungen unserer Epoche: was wiederum kein Zufall ist.[26] Vor diesem Hintergrund öffnet der Arabische Frühling uns allen die bisher weitreichendste Perspektive auf eine dritte Option und verweist die Bewohner_innen der imperialen Zentren dazu auf ihr eigenes Sich-verfangen im insofern tatsächlich „westlichen“ Liberalismus zurück.

Hypothese 1

Dass auch die im Arabischen Frühlings aufgebrochenen Bewegungen zunächst im Rückstand auf ihre eigene Aktion bleiben, zeigt sich daran, dass sie auf den verschiedenen „Plätzen der Befreiung“ starke fundamentalistische und liberale Strömungen einschließen. Entsprechend wurden und werden die Wahlen, in deren Erzwingung ihr erster Sieg liegt, von Parteien fundamentalistischer, aber auch liberaler Tendenz dominiert. Doch sind diese Wahlen, die folgenden Regierungsumbildungen und die fundamentalistischen oder liberalen Diskurse, die den subjektiven Erwartungshorizont der jeweiligen gesellschaftlichen Mehrheiten artikulieren, nicht der entscheidende Punkt. Der liegt vielmehr in dem, was sich auf diesen Plätzen ereignet hat: die freie Versammlung des demos, der sich auf dem Hauptplatz der polis im Vollzug konstituierender Macht selbst zur Transzendenz ermächtigt, seine Selbstermächtigung im Sturz gleich mehrerer anciens régimes bewährt und darin seine Würde als den „Anteil der Anteillosen“ (Rancière) reklamiert, für den zu kämpfen sich lohnt.

Zu solcher Selbstermächtigung gehört, was der Fundamentalismus nur entstellen kann: die mit der Reklamation der eigenen Würde immanent verbundene Bereitschaft zum Kampf auf Leben und Tod, auf die die Herrschaft nur mit der Tian’anmen-Lösung – oder mit dem Rücktritt reagieren kann. Die dabei gewonnene Erfahrung wird sich – um hier an Kants Lob der Französischen Revolution zu erinnern– auch dann „nicht vergessen“, wenn der Übergang von der Mobilisierung gesellschaftlicher Minderheiten zur „selbständigen Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl“ noch Jahrzehnte brauchen wird, vielleicht das ganze 21. Jahrhundert.[27]

Kommentar (8): Die weltgeschichtliche Differenz und der ursprüngliche Akt der Freiheit.

Die erste Hypothese verlangt zwei in sich zusammenhängende Kommentierungen. Wenn Fukuyamas Dreifaltigkeit hier als die der Menschenrechte, der freien Marktwirtschaft und der Demokratie bezeichnet wurde, stand der Demokratie stets das Adjektiv „konstituiert“ voraus. Gemeint sind damit die in der Regel parlamentarisch verfassten (konstitutionalisierten) Demokratien westlich-liberalen Typs, in deren verregeltem Betrieb sich eines immer schon entzogen hat: der eigentlich verfassungsgebende (konstitutionalisierende) Akt, der als solcher der Verfassung (Konstitution) vorausgeht und insofern ursprünglich illegal ist. Dieser Akt kann deshalb konstituierender Akt, die in ihm vollzogene Macht konstituierende Macht und genauer konstituierende Demokratie genannt werden.

Aus ihr heraus entfaltet die jüngere Demokratietheorie, was sie im Anschluss an Heideggers „ontologische Differenz“ von Sein und Seiendem die „politische Differenz“ nennt, doch „weltgeschichtliche Differenz“ zu nennen wäre: den Unterschied zwischen dem Politischen und der Politik oder, sinngleich, zwischen der Politik und der Verwaltung. Die dritte Option wird dem Politischen und nicht der Politik bzw. der Politik und nicht der Verwaltung angehören und als konstituierende Demokratie im Gegensatz nicht nur zur Diktatur, sondern auch zur konstituierten Demokratie vollzogen.

Diese erste Lehre des Tahrir-Platzes schließt eine zweite ein: dass der konstituierende Akt insofern ein Akt der Freiheit ist, als er das Wagnis des Kampfes auf Leben und Tod einschließt. Ihre Bereitschaft dazu teilten die Demonstrant_innen der Weltöffentlichkeit auf Plakaten mit, auf denen der englische Satz „Ready to Die!“ stand; ihm entsprach der Satz „Game over!“, der 2010/2011 Mubarak galt und heute Mursi entgegengehalten wird.[28]

In philosophischer Hinsicht haben Hegel und dann Alexandre Kojève, Lehrer auch Fukuyamas, zu dieser ersten Möglichkeitsbedingung des Politischen vieles schon gesagt; auf die Bereitschaft zum Kampf auf Leben und Tod haben beide deshalb ihren Begriff der Transzendenz gegründet: verstanden als Bestimmung einer Freiheit, die sich, nur scheinbar widersinnig, gerade in der Bereitschaft bewährt, dem eigenen Überleben abzusagen.[29] In politischer Hinsicht aber ist so verstandene Transzendenz, wie 2011 in Libyen und aktuell in Syrien zu verfolgen, unendlich schwer zu vollziehen, weil unglaublich leicht zu entstellen. Dazu wenigstens drei Anmerkungen:

a) Im prominenten Bezug auf Gandhi, tatsächlich aber auf das wohl mehr als hunderttausendfach gewagte Verhalten ungezählter Einzelner ist vor allem anderen klarzustellen, dass die Freiheitsbewährung auf Leben und Tod keinesfalls zur Anwendung von Gewalt nötigt und ihren Ort vergleichsweise selten in der Konfrontation mit Polizei und Armee hat. Sie nötigt in den allermeisten Fällen „lediglich“ dazu, um keinen Preis vom Begehren abzulassen und dies auch praktisch zu artikulieren. Unumgänglich ist eben nicht die Gewalt, sondern die Bereitschaft, nötigenfalls dem eigenen Überleben, in jedem Fall aber der Anhaftung ans „System der Bedürfnisse“ und damit der freiwilligen Knechtschaft zu entsagen. Dies hat seinen Grund darin, dass beide, die Bereitschaft zum Kampf auf Leben und Tod wie die freiwillige Knechtschaft, selbst wieder nur von der Freiheit ausgesagt werden können.

b.) A priori ist trotzdem niemals auszuschließen, dass die Freiheitsbewährung ihren Ort in bewaffneten oder jedenfalls gewaltsamen Auseinandersetzungen findet und dabei selbst gewalttätig werden muss. A posteriori, d.h. nach der Revolutionsgeschichte des 18., 19. und 20. Jahrhunderts, muss dann aber festgehalten werden, dass bestimmte Formen der Gewalt auszuschließen sind, wenn sich die Freiheit nicht selbst verraten will: definitiv die Folter, die systematische Exekution und das Lager. Der weit verbreiteten, tatsächlich aber oft leichtfertigen Rede vom „Lernen aus der Geschichte“ ist allerdings entgegenzuhalten, dass auch und gerade die Bolschewiki aus der Geschichte lernen wollten und auch gelernt haben. Ihr Lehrstück war der zur Zeit der Oktoberrevolution noch keine 40 Jahre zurückliegende Pariser „Blutmai“, in dem die Truppen der Konterrevolution in den Tagen zwischen dem 21. und dem 28. Mai 1871 30.000 Kommunard_innen bestialisch ermordeten und weitere 40.000 gefangen nahmen. Auf den Punkt gebracht: Da der Gewaltverzicht der Herrschaft ein Wunsch ohne zureichenden Anhalt in der Realität ist und der gandhianische Weg nicht verallgemeinert werden kann, wäre ein prinzipieller Gewaltverzicht der Befreiung nur die perfideste Legitimation freiwilliger Knechtschaft.

c) Dieselbe Realität lehrt zugleich, dass die Gewaltsamkeit von Kriegsparteien oft konstitutiv für das System des Druckausgleichs ist und – wie aktuell in furchtbarer Weise in Syrien zu verfolgen – primär der Ausschaltung der dritten Option, im gegebenen Fall der demokratischen Opposition dient. Doch gilt selbst hier, dass die Entscheidung zwischen einerseits der Selbstbewährung der Freiheit in der Reklamation der eigenen Würde und andererseits dem pragmatischen Kalkül des eigenen Überlebens zuerst die Sache derer ist, um deren Würde und Überleben es geht: heute also die Sache derer, die in der Treue zum eigenen Aufbruch zum Frieden mit Assad nicht mehr bereit sind. Wer das aus vorgeblich übergeordneter, etwa „friedenspolitischer“ Perspektive bestreitet, sollte wissen und sagen, dass er sich und andere in die Unterwerfung zwingt.

Hypothese 2

Mit den altermondialistischen Bewegungen des Jahrhundertwechsels teilen die im Arabischen Frühling aufgebrochenen bzw. von ihm inspirierten Bewegungen die Konstruktion einer globalen Dimension des Politischen. Sie teilen diese Dimension allerdings auch mit dem Empire: im Prinzip also eine Konfrontation auf Augenhöhe, auf die die Losung „Eine andere Welt ist möglich!“ vorab schon verwiesen hatte. Sichtbar wurde das gleich in ihren ersten Tagen, in der Vielzahl englischsprachiger Schilder und Transparente; derselben Adresse an die ganze Welt diente die Kommunikation in sozialen Netzwerken, der sich auch die weitgehend horizontale Organisation der Aktionen verdankte: Stürmte die Polizei den Tahrir-Platz, strömten Minuten später schon die prekarisierte Bohème der innerstädtischen Cafès wie die Mopedpulks der „Ultras“ aus den verslumten Außenbezirken zum Ort des Geschehens. Das ist es, was weltweit verstanden und aufgegriffen wurde, von den asambleas in Madrid, Athen, Tel Aviv, Washington, London und anderswo: ein Enthusiasmus, der den geschlossenen „globalen Machtraum der Politik“ der Möglichkeit seiner Überschreitung konfrontiert.

Freilich müssen medium und message hier zugleich auseinander- und zusammengehalten werden: Weltweit kommuniziert hat sich der subversive Gebrauch der Informationstechnologien, weltweit kommuniziert hat sich aber auch – in der Sache bedeutsamer – die freie Versammlung des demos und die Reklamation der eigenen Würde im Vollzug konstituierender Macht.

Kommentar (9): Weltgeschichte und Krise der Repräsentation.

Die konstituierende Demokratie der asambleas war nicht nur Widerruf des verfrüht ausgerufenen Endes der Geschichte, sondern auch der Akt, mit dem die besondere Krise identifiziert wurde, in der sich alle anderen verdichten. Es ist dies nicht die nächstliegende (die Krise der Finanzialisierung), nicht die wegen ihrer absehbaren Folgen dringlichste (die der Ökologie) und nicht die moralisch empörendste (die Hungerkrise), sondern die, an der politisch am meisten hängt, weil sie das Politische selbst betrifft: die Krise der Repräsentation. Hierzulande haben sich dazu die Begriffe der Postdemokratie und der Postideologie eingebürgert; sie fassen, was die deutsche Kanzlerin Angela Merkel „marktkonforme Demokratie“ nennt. Gemeint ist die Aushöhlung der konstituierten Demokratie durch die Verschmelzung von Staat, Ökonomie und Informationstechnologie. Auch diese Entwicklung führt auf das verfrühte, weil auf das Ende der Blockkonfrontation datierte, Ende der Geschichte zurück. Mit ihm verwandelte sich Politik auch wortwörtlich in bloße Verwaltung, und deren Verfahren schließen die Anteilnahme der Bürger_innen schon deshalb aus, weil „Sachprobleme“ (und andere soll es ja nicht mehr geben) am besten von Expert_innen bearbeitet und von den Öffentlichkeitsabteilungen aller Ämter vermittelt werden. Die „Plätze der Befreiung“ antworteten darauf mit ihrem Anspruch auf gleiche Teilhabe aller, mit ihrer Verwerfung aller Führungs- und Sprecher_innenpositionen und dem Verzicht auf die Hauptprozedur der konstituierten Demokratie, die Mehrheitsentscheidung. Indem sie an vielen Orten auch die Agitator_innen traditionslinker Splittergruppen des Platzes verwiesen, antworteten sie zugleich auf das Scheitern der realsozialistischen Staaten des 20. Jahrhunderts.

Festzuhalten bleibt allerdings, dass die reine Horizontalität der asambleas zugleich ein Zeichen der Unreife ist: die folgenden Mühen der Ebene verlangen auch von der dritten Option belastbare Organisationsformen, geeignet auch, um dem Staat wie der Governance dauerhaftere Situationen der „Doppelherrschaft“ aufzunötigen. In ihrer Analyse der „gemischten Verfassung“ des Empire bestimmen Hardt/Negri deshalb die unterste der drei Stufen der imperialen Machtpyramide zum Handlungsspielraum auch der Gegenkräfte zum Empire. Auf ihr siedeln sie die im Vergleich eher schwachen Staaten des globalen Südens ebenso an wie bestimmte Organe der UN sowie, ihnen verbunden, das Feld der NGOs und (sic!) die Massenmedien. Man kann nicht sagen, dass solche strategische Spekulationen die aktuellen asambleas schon erreicht hätten: in mancher Hinsicht zu Recht, in anderer zu Unrecht.[30]

Hypothese 3

Die partizipative Horizontalität der asambleas führt aber auch auf die soziale Zusammensetzung der Bewegungen, die wiederum nicht zufällig der Zusammensetzung schon der Bewegungen nach Seattle ähnelt. Empirisch reflektiert sich darin der angesprochene Übergang zum biopolitischen Kapitalismus, die Entgrenzung des Verwertungsprozesses der Arbeitskraft auf das Ganze des Lebens und der Erde. Dem entspricht, dass die Bewegungen in freilich nur erst spontaner Weise die prekarisierte industrielle Arbeitskraft und die von Prekarisierung bedrohten Mittelklassen mit dem weiteren städtischen und ländlichen Elend in Kommunikation bringen und dabei zugleich den Asymmetrien des Geschlechts, der Generation sowie der ethnischen und religiösen Herkunft Foren der Selbstvertretung öffnen. Für solche heterogenen sozialen Ensembles haben Hardt/Negri den Begriff der „Multituden“ geprägt, der jetzt erheblich konkreter zu denken ist als unmittelbar nach seiner ersten Streuung in Empire. Muss wiederholt werden, dass es sich dabei um einen problematischen Begriff handelt, und dass Hardt/Negri nie gesagt haben, die Multituden seien an sich schon dass revolutionäre Subjekt der dritten Option? Muss daran erinnert werden, dass der von Marx/Engels zu ihrer Zeit ins Spiel gebrachte Begriff des Proletariats genauso problematisch war, weil er weniger eine homogene Klassenbewegung als das heterogene Ensemble des „Auflösungsprozesses“ aller bestehenden Klassen bezeichnete? An gleich mehreren Stellen des Manifests der Kommunistischen Partei wird deshalb ausdrücklich hervorgehoben, dass sich das Proletariat „aus allen Klassen der Bevölkerung rekrutiert“, diese ganz verschiedenen Herkünfte in „Bildungselemente“ seiner Subjektivität umformt und dabei sogar „einen kleinen Teil der herrschenden Klasse“ einschließen wird: allen voran „Bourgeoisideologen, welche zum theoretischen Verständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet haben“ und deshalb weniger den eigenen Bedürfnissen als ihrem Begehren nach Wahrheit folgen.[31]

Kommentar (10) Das Subjekt der Weltgeschichte – Multituden und Proletariat.

Die Wahlverwandtschaft zwischen den asambleas der Jahre 2010/2012, Hardt/Negris Multitudenbegriff und dem Proletariatsbegriff des Manifests resultiert zunächst daraus, dass sie je auf ihre Weise dramatische Umbrüche in der Zusammensetzung der Gesamtarbeitskraft registrieren. So versucht der Proletariatsbegriff den Aufstieg der industriellen, der Multitudenbegriff den der immateriellen Arbeitskraft zu fassen. In beiden Fällen sind damit qualitative und eben nicht quantitative Prozesse gemeint: um 1848 stellten die Industriearbeiter_innen im Vergleich zu den Arbeiter_innen der Landwirtschaft und der Rohstoffgewinnung so wenig die Mehrheit wie heute die immateriellen Arbeiter_innen im Vergleich zu den materiellen. Qualitativ aber beginnen sie, die Gesamtarbeitskraft und damit eben auch die Produktion von Gesellschaft schlechthin zu führen: ein Übergang, in dem es um sehr viel mehr geht als um klassenanalytische Fragen engeren Sinns.

Marx/Engels führen das in den zu Recht berühmten Passagen des Manifests aus, in denen sie die Proletarier_in als eine aus jeder überkommenen materiellen und symbolischen Bindung heraus- und damit in radikalem Sinn freigesetzte Subjektivität beschreiben: als eine im umfassenden Sinn des Worts „eigentumslose“ Subjektivität, des „bürgerlichen Familienverhältnisses“ ebenso ledig wie des ihr zuvor anhaftenden „nationalen Charakters“ und überhaupt aller „bisherigen Privatsicherheiten und Privatversicherungen“ mitsamt der sie konstituierenden Gesetze, Moralen und Religionen.[32] Verständlich werden diese Bestimmungen erst im dialektischen Bezug auf den „Auflösungsprozess“, den das Kapital dem Ganzen der Gesellschaft aufzwingt: „Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.“[33]

Es ist dies ganz offensichtlich keine empirische Diagnose, sondern eine zugleich produktions- und religionsgeschichtliche Interpretation und darin der philosophische Entwurf des weltgeschichtlich Möglichen. Mit ihr war der proletarischen Subjektivität schon bei Marx/Engels mehr aufgegeben als nur die Transformation des gesellschaftlichen Produktionsverhältnisses im engeren Sinn des Begriffs: aus jedem Herkommen freigesetzt, hatte sie die Weisen schlechthin der Vergesellschaftung wie der Vereinzelung neu zu erfinden. Dieses Moment entwickelt der Multitudenbegriff weiter und verschärft so den Gegensatz zu der marxistischen Tradition, die den Proletariatsbegriff auf den der industriellen Arbeiter_innenklasse verengte. Am deutlichsten wird dies im Abschlussband der Trilogie zu Empire und Multitude, in dem Hardt/Negri die „Menge“ über eine spekulative Revision der Begriffe Armut und Liebe bestimmen.[34]

Gleichwohl bleibt der Multitudenbegriff, wie Negri ausdrücklich festhält, ein „Klassenbegriff“, von dessen Subjekt Anne Querrien vermerkt: „Die Praxis, Multitude zu werden, entsteht aus dem Bruch mit der Religion.“[35] Beides stimmt, wenn auch nur erst der Möglichkeit nach: wobei Bruch mit der Religion nicht bedeutet, aus der Religionsgeschichte zu springen, sondern nirgendwo anders als in ihr zu entdecken, „dass es kein höchstes Gut gibt“[36] und folglich auch und gerade die Multituden kein „großer Anderer“ sein können. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Multituden nur dann revolutionäres Subjekt werden können, wenn sie Ensembles von Singularitäten bleiben, die im Setzen je ihres Punktes erst ihr Unteilbares erschaffen und darin „In-dividuen“ werden, die frei und gleich dem beitreten, was Marx/Engels „Assoziation“ nannten.[37] Es versteht sich, dass eben darin zugleich die höchste Gefahr der Multituden wie der Singularitäten liegt. Die buntscheckige und empirisch gesehen klassenübergreifende Menge, die sich 2010/2012 auf den „Plätzen der Befreiung“ von Tunis, Kairo, Washington, Madrid und Athen versammelte und jetzt nach den Formen ihrer Einrichtung auf längere Dauer sucht, ist dieser Gefahr ungeschützter ausgesetzt als jede andere vor. Das führt noch einmal auf das System des Druckausgleichs, das sie in die Wahl zwischen Transzendenzverleugnung und Immanenzverachtung zwingen und so in den Grenzen des Empire halten will.

Hypothese 4

An dieser Stelle sind dann zwei weitere Punkte zu nennen, in denen sich der tatsächlich antagonistische Charakter der Bewegungen noch im Stadium der Potenzialität befindet.

Der erste schließt unmittelbar an die voran stehende Problematik an und zielt auf das Verhältnis der ökonomischen und der politischen Agenda der Bewegungen. So geht es ihnen zum einen um die Senkung der Preise der Grundnahrungsmittel und der Wohnungen, um Einkommen und Beschäftigung und um den Zugang zu Gesundheit, Verkehr, Bildung und allgemeiner Daseinsfürsorge. Zum anderen aber fordern sie kraft und namens der eigenen Würde wie vermittels der neuen sozialen Netzwerke eine radikale Politisierung und Demokratisierung der gegebenen Verhältnisse. Gemeinsamer Nenner könnte die Forderung nach autonomer individueller Teilhabe am weltgesellschaftlichen Zusammenhang werden, in der das Pathos sowohl der bürgerlich-demokratischen wie der proletarisch-sozialistischen Revolutionen, aber auch der selbst bereits globalen Kulturrevolutionen der 1960er/1970er Jahre wiederholt wird. In dem Maß, indem die Pathosformel der „Egaliberté“ (Balibar) zur inneren Vermittlung einer dritten Option wird, werden die leeren Ansprüche des Liberalismus wie des Fundamentalismus hinfällig, je gegeneinander die Sache der individuellen Autonomien bzw. des „Common Wealth“ (Hardt/Negri) aller zu artikulieren.

Kommentar (11): Dialektik der Weltrevolutionen.

Obwohl auch hier noch von Möglichkeiten die Rede ist, folgen die vom Arabischen Frühling inspirierten Bewegungen den ihnen vorangegangenen Bewegungen noch in einer weiteren Hinsicht. In Reflexion sicherlich auf das Jahr 1989 und deshalb implizit auch auf die Geschichtsphilosophie Fukuyamas beanspruchen sie das ganze weltrevolutionäre Erbe: das der politischen bzw. demokratischen Revolutionen von 1789-1848, das der sozial(istisch)en Revolutionen des Russischen Oktober 1917 und des chinesischen Volkskriegs von 1945-1949 wie das der globalen Kulturrevolution von 1968. Im Unterschied jedoch zu den Kommunist_innen des 19. und 20. Jahrhunderts glauben sie nicht an die diachrone Ablösung der damit abgeschlossenen bürgerlich-demokratischen Revolution durch die höherstufige proletarisch-sozialistische, sondern bestehen auf deren Synchronizität. Es ist dies ein Erkenntnisfortschritt, den sie sicher auch dem Mai 1968 verdanken, der die Problematiken des Geschlechts, der Generation, der Ökologie, der Anti- und Postkolonialität, des Rassismus, der sexuellen Orientierung, mithin den Widerstand gegen alle Regime der Normalisierung entweder der Klassenfrage gleichgesetzt oder selbst als Klassenfrage aufgeworfen hat. Dass der Demokratiefrage im Palaver der Gerechtigkeits-, Anerkennungs- und Wahrheitsbegehren die Rolle der Vermittlung zufällt, wurde im 9. Kommentar schon auf die Vermittlungsrolle zurückgeführt, die in der Vielheit der Krisen der Krise der Repräsentation zukommt. An dieser Stelle ist noch einmal hervorzuheben, dass die freie und gleiche Teilhabe der Einzelnen als Einzelner den Maßstab liefert, der einer Dialektik der Weltrevolutionen ihr Ende voraussetzt: 1968 sprach man hier von der „Politik in Erster Person.“ Im Blick auf den Zusammenhang von Produktions- und Religionsgeschichte, damit aber auch auf die Fallen, die den Bewegungen wie jeder einzelnen Aktivist_in im fundamentalistisch-liberalen Pseudo-Antagonismus gestellt sind, sei die Tiefe des Problems mit einer Formulierung gefasst, die der Dichter Daniel Giraud einer der radikalsten Wortmeldungen eben des Mai 68 einschrieb: „Es gibt die Verdammten dieser Erde, aber es gibt auch die Verdammten des Himmels. Die einen verstehen die anderen nur unter Schwierigkeiten.“ Von diesen Schwierigkeiten sind viele noch nicht einmal benannt.[38]

Hypothese 5

Der zweite Punkt ist mindestens so schwierig zu realisieren wie der erste und zielt auf einen weiteren Widerspruch der aktuellen Bewegungen. Es ist dies der Widerspruch zwischen globalem und universalistischem Anspruch einerseits und der lokalen bzw. nationalen, bisweilen auch nationalistischen Fundierung der Kämpfe andererseits. Die Universalität bzw. Globalität der Bewegungen bewährte sich in der Schnelligkeit, mit der es noch während des Arabischen Frühlings zu den Massenaufbrüchen in Madrid, Athen, Tel Aviv, Rom und London und dann zu den Occupy-Protesten in New York und deren nahezu augenblicklicher Verbreitung in über 900 Städten bzw. über 80 Ländern kam. Ihre lokale bzw. nationale Fundierung wird evident, sobald man näher in den Blick nimmt, was die „Empörten“ in den genannten und anderen Orten vereinte – und was sie nach wie vor trennt. Erst in der Durcharbeitung dieser Widersprüche und der Anerkennung dieser Unterschiede wird sich zeigen, ob die altermondialistischen Multituden wirklich zur dritten Option jenseits von Imperialität und Anti-Imperialität werden. Herausgefordert werden sie dazu auch von der Wirkungsmacht des Imperialitätsparadigmas, das alle sozialen, kulturellen und politischen Konflikte zu solchen der Weltordnung macht – „ob man will oder nicht“, auch auf den „Plätzen der Befreiung.“ Ist ein Zurück von der Imperialität in imperialistische Verhältnisse mit dem erreichten Stand der Produktivkräfte unverträglich, dann gilt das eben auch, das ist der Witz des Pakts, den Hardt/Negri mit dem Empire schließen, von ihrem emanzipatorischen Potenzial.

Seine eigentliche Schärfe wird dieser Punkt von dem heute vielleicht schon erreichten Moment an gewinnen, an dem der Enthusiasmus des Aufbruchs erlischt: nicht notwendig in einem Abbruch, doch in einem gegebenenfalls auf Jahre fortwährenden Rücklauf. Sichtbar wird dies aktuell in den islamistischen Wahlsiegen in Tunesien und Ägypten und der Islamisierung der bewaffneten Aufstände in Libyen und Syrien. Sichtbar wird dies aber auch im Norden der EU, wo sich die Mehrheitsgesellschaften inklusive der Rest-Arbeiter_innenklassen der imperialen Politik der „Troika“ verbanden.

Hier schlägt zu Buche, dass der Tahrir-Platz zwar eine von niemandem direkt intendierte Begebenheit und also ein wirkliches Ereignis war, kleine Gruppen von Aktivist_innen sich aber schon seit einigen Jahren neu organisierten, um besser auf das vorbereitet zu sein, was „schon in der Luft lag“: in den zunehmenden Streiks und wiederkehrenden riots wie im wachsenden Unbehagen der Frauen und der Mittelklassejugend. Dies lässt den Schluss zu, dass sich die dritte Option in dem Maß konkretisieren wird, in dem es ihren organisierten Kernen gelingt, sich in ein produktives Verhältnis zu denen zu setzen, die unorganisiert auf die Plätze strömen, doch vielleicht bald schon in die engen Verhältnisse des „Systems der Bedürfnisse“ zurückkehren.

Kommentar (12): Ereignis und Dauer im Fortgang der Weltgeschichte.

Die fünfte Hypothese variiert im Blick auf 2010/2012 das hier schon angesprochene älteste weltrevolutionäre Problem, das von Ereignis und Dauer bzw. von Ereignis und Einrichtung. Im Moment der Niederschrift dieses Kommentars führt das wieder nach Ägypten, wo die Mehrheit der Wahlberechtigten gerade erst einer islamistischen Konstitution der Demokratie zugestimmt hat, die den Geist der konstituierenden Demokratie zu ersticken droht. Hier sind noch ganz andere Geschichten zu erinnern, der französische Thermidor, die Stalinisierung der Oktoberrevolution, die Postmodernisierung des Mai 1968, auch die Erstarrung der panarabischen Befreiungsbewegungen der 1950er/1960er Jahre, die in den Regimes Gestalt gewann, die der Arabische Frühling hinwegfegte. Der noch heute unübertroffene Lösungsvorschlag – die Organisation des revolutionären Subjekts, seine Bildung zur „Partei im großen historischen Sinne“[39] – hat das Problem selbst bisher nur verschärfen können; er bleibt darin dem schon von Max Weber beschriebenen Widerspruch der „Massen-Religiosität“ bzw. der „religiösen Laien“ zur „Virtuosen-Religiosität“ verhaftet.[40] Die liberale Geschichtsschreibung weist die Verantwortung dazu allein den revolutionären Virtuos_innen (Robespierre, Lenin, Mao, die Rote Armee Fraktion) und dem „totalitären“ Ideologem des „Neuen Menschen“ zu. Im Gegenzug reduziert sie Geschichte und Geschichtlichkeit auf die „ideologiefreie“ graduelle Verbesserung des bestehenden „Systems der Bedürfnisse“, die im Wesentlichen alles beim Alten lässt, dafür aber die materiellen und symbolischen Gratifikationen der Subalternen anhebt – solange das „marktverträglich“ bleibt. Doch auch wenn der Akzent gerade umgekehrt auf die von Hardt/Negri selbst so benannte „Korruption“ der Multituden gelegt wird, die vorzeitige Ermüdung der Menge und ihr Ablassen vom eigenen Begehren zugunsten des nächsten „Vorteils“: auf der Hand liegt trotzdem, dass sich auch hier eine dritte Option finden muss.[41]

An dieser Stelle ist dann noch einmal auf den von Fukuyama wie von Rilling hervorgehobenen Umstand zu verweisen, dass „der Kapitalismus mit einer Ideologie der Freiheit und Gleichheit existieren kann wie keine andere Herrschaftsordnung vor ihm.“ Dazu gehört, dass es, ihrem herrschaftssichernden Moment zum Trotz, immer wieder gerade diese Ideologie war, die das Begehren noch denen gegenüber verwahrt hat, die auf die eine oder auf die andere Weise von ihm abgelassen haben. Sie tut dies, in dem sie dem nächsten Aufbruch zur Instanz der Vermittlung von konstituierter und konstituierender Demokratie wird. Den entscheidenden Fingerzeig liefert hier die dem Arabischen Frühling in vielfacher Hinsicht ähnelnde Revolution von 1848, von der zu Unrecht nur die Niederschlagung erinnert wird.[42] Übersehen wird dabei, dass die ihren Abbruch markierende Paulskirchenverfassung zur Programmschrift der Novemberrevolution von 1918 wurde und ihren aktuell jüngsten Niederschlag in der gesellschaftlich gar nicht wahrgenommenen und dennoch nicht zu unterschätzenden Auseinandersetzung um den Artikel 146 des Grundgesetzes gefunden hat, in dem es heute heißt: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Konservative Staatsrechtler_innen haben sofort verstanden, dass dieser Artikel, der nach dem Anschluss der DDR an die BRD eigentlich hätte gestrichen werden sollen, dann aber modifiziert beibehalten wurde, heute nicht weniger als den konstituierenden Akt selbst konstitutionalisiert. Er spricht damit die gegebenenfalls revolutionäre Transformation der Verfassung von ihrer Illegalität los und erhebt sie, weltweit einzigartig, ausdrücklich zum Grundrecht der Bürger_innen.

Angesichts der Gewaltsamkeit allein der Geschichte zwischen der Novemberrevolution und der Modifikation des Artikel 146 ist das natürlich nur ein schwacher Anhalt. Doch ist an dieser Stelle das Wahrheitsmoment der historistischen Reduktion aller Geschichte auf ein bloßes Werden zu erinnern, nach der das Auftauchen der Freiheit im Werden ein bloßer Zufall ist. Wahr daran ist, dass die Selbstbejahung des Zufalls der Freiheit notwendig das Wissen einschließt, in „der Möglichkeit des absoluten Fehlschlags“ zu stehen: ein Wissen, dass „den für die tatsächliche Teilhabe eines Menschen an der Geschichte kennzeichnenden Ernst bewirkt.“[43]

Zum tragfähigen Anhalt immanenter Transzendenz wird die dem Kapitalismus koexistierende „Ideologie der Freiheit und Gleichheit“ aber nur, wenn es trotz allem eine „Partei im großen historischen Sinne“ gibt und diese Partei sich im richtigen Augenblick in konkreten Organisationen verkörpert. Verweisen wir zum Schluss deshalb auf ein Projekt, das diese Möglichkeit heute exemplarisch behauptet. Die Rede ist Syriza – Enotiko Kinoniko Metopo (Vereinte Soziale Front, Syriza ist das Kürzel für Koalition der Radikalen Linken). Vor dem Aufstand der Athener Platia Syndagmatos[44] 2011/2012 war Syriza nur als einer der vielen Versuche bekannt, auf das doppelte Scheitern der marxistisch-leninistischen und der sozialdemokratischen Parteien des 20. Jahrhunderts mit einer „Partei neuen Typs“ zu antworten. Weil Syriza dann aber die einzige Kraft war, die sich die Achtung der Streiks und Massenversammlungen erringen konnte, wuchs sie in kürzester Frist von einer Splitterpartei zur zweitstärksten politischen Formation in Griechenland, mit aktuell großen Aussichten, die nächsten Wahlen für sich zu entscheiden. Bemerkenswert an Syriza ist aber nicht allein ihr unerwartet schneller Aufstieg, sondern mehr noch, dass sie sich von jeder Konzeption eines „Aufbaus des Sozialismus in einem Land“ verabschiedet hat. Stattdessen will sie den eventuellen Übergriff der griechischen Aufstände auf die Staatsmacht nutzen, um die ganze EU in eine konstitutionelle Krise zu treiben. Gelingen kann das nur, wenn die Allianz von Partei und asamblea auch die unvermeidlichen Ambivalenzen einer Regierungsbildung übersteht: was nicht nur infolge der Zerrüttung des griechischen Staates wie seiner Ökonomie auf keiner der beiden Seiten gesichert ist. Voraussetzung dafür ist aber auch, dass die griechische Initiative im Süden der EU weitere Mehrheiten findet und von militanten Minderheiten des Nordens wahrnehmbar unterstützt wird.[45] Geht die Strategie Syrizas auf, wäre die Verfassung Europas allerdings so offen wie seit Jahrzehnten nicht mehr – mit unmittelbaren Folgen fraglos in den Ländern des Arabischen Frühlings wie für den „bolivarianischen“ Prozess Lateinamerikas. Aussichten, die trotz allem erfreulich genug sind, um hier einen vorläufigen Schlusspunkt zu setzen.

 

Literatur:

Bello, Walden, 2005: De-Globalisierung. Widerstand gegen die neue Weltordnung. Hg. Nachtwey, Oliver/Strotmann, Peter, Hamburg.

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Fülberth, Georg, 2002: Bluff, Kitsch und Affirmation. In: www.trend.infopartisan.net/trd0902/t460902.html.

Fukuyama, Francis, 1992: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München.

Giraud, Daniel 1975: Vorspiel zur Apokalypse, in: Duerr, Hans Peter (Hg.): Unter dem Pflaster liegt der Strand, Bd. 2. Berlin.

Hardt, Michael/Negri, Antonio, 2002: Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt/M.

Hardt, Michael/Negri, Antonio, 2010: Common Wealth. Das Ende des Eigentums, Frankfurt/M.

Heidegger, Martin, 1996: Vom Wesen der Wahrheit, in: Wegmarken, Frankfurt/M.

Jäger, Michael, 2003/04: Geschichtsunterbrechung als theologisches Problem, in:

Kommune 6/03 und 1/04, Frankfurt/M.

Jäger, Michael/Seibert, Thomas, 2012: alle zusammen. jede für sich. die demokratie der plätze, Hamburg.

Kagarlitsky, Boris, 1914: The Logic of a Revolt. In: Links. International Journal of Socialist Renewal, http://links.org.au/node/3838

Kant, Immanuel, 1984: Der Streit der Fakultäten, Berlin/DDR.

Kojève, Alexandre, 1975: Hegel. Kommentar zur Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M.

Lacan, Jacques 1996: Die Ethik der Psychoanalyse, Weinheim/Berlin.

Leisegang, Dieter, 1972: Dimension und Totalität. Entwurf einer Philosophie der Beziehung, Frankfurt/M.

Lenin, Wladimir Iljitsch, 1960: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: Werke Bd. 22, Berlin/DDR.

Marx, Karl, 1964: Briefe Januar 1860 – September 1864, in: Marx-Engels-Werke Bd. 30, Berlin/DDR.

Marx, Karl, 1973: Das Kapital. Bd. 1, Berlin/DDR.

Marx, Karl, 1976: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: Marx-Engels-Werke Bd. 1, Berlin/DDR.

Marx, Karl, 1987: Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie, in: Marx-Engels-Werke Bd. 42, Berlin/DDR.

Marx, Karl/Engels, Friedrich, 1959: Manifest der Kommunistischen Partei, in: Werke Bd. 4, Berlin/DDR.

Marx, Karl/Engels, Friedrich, 1969: Die Deutsche Ideologie, in: Marx-Engels-Werke Bd. 3, Berlin/DDR.

Mishra, Pankraj, 2012: Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens, Frankfurt.

Negri, Antonio, 2003: Eine ontologische Definition der Multitude, in: Atzert, Thomas/Müller, Jost (Hg.): Kritik der Weltordnung. Globalisierung, Imperialismus, Empire, Berlin.

Querrien, Anne, 2003: Fluchtlinien der Multitudes. Elektronische Notizen nach Genua und New York, in: Atzert, Thomas/Müller (Hg.), Jost: Kritik der Weltordnung. Globalisierung, Imperialismus, Empire, Berlin.

Rilling, Rainer 2007a: Imperialität, in: Brie, Michael (Hg.): Schöne neue Demokratie, Berlin.

Rilling, Rainer 2007b: Imperialität, in: Kaindl, Christina (Hg.): Kapitalismus reloaded, Hamburg.

Rilling, Rainer, 2008: Risse im Empire, Berlin.

Roy, Arundhati, 2004: Feiertagsproteste stoppen keine Kriege. Der neue Imperialismus ist bereits über uns, in: http://www.jungewelt.de/2004/01-20/index.php.

Seibert, Thomas, 2009: Krise und Ereignis. Siebenundzwanzig Thesen zum Kommunismus, Hamburg.

Vaneigem, Raoul, 1980: Handbuch der Lebenskunst für die jungen Generationen, Hamburg.

Weber, Max, 1988: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie Bd. 1, Tübingen.

[1] Marx/Engels 1969, S. 35f.

[2] Ebd., S. 36.

[3] Platz der Befreiung.

[4] Marx/Engels 1959, S. 482.

[5] Hardt/Negri 2002, S. 19. Mit diesem Buch führen die Autoren ihre Begriffe des Empire bzw. des Gegen-Empire ein.

[6] Fülberth 2002, vgl. auch Hardt/Negri 2002, S. 218 und ausgedehnt Rilling 2008.

[7] Lenin 1960, S. 271.

[8] Ebd., S. 280, 307

[9] Hardt/Negri 2002, S. 218. Das eingeschobene Zitat findet sich bei Deleuze/Guattari 1974, S. 308.

[10] Prominent Bello 2005.

[11] Rilling 2008, S. 86.

[12] Ebd., S. 146f.

[13] Insofern entspricht meine Unterscheidung von Imperialität, Anti-Imperialität und dritter Option Hardt/Negris Unterscheidung von Moderne, Gegenmoderne und Altermodernität, vgl. in nuce Hardt/Negri 2010, S. 113ff.

[14] Ebd., S. 27f.

[15] Vgl. dazu das berühmte „Maschinenfragment“, Marx 1987, S. 590 – 610

[16] Allerdings ist Fukuyamas Bestimmung von der Tendenz zur „Ersetzung“ körperlicher durch geistige Arbeit insoweit zu korrigieren, als es weniger um Ersetzung der einen durch die andere, sondern um ihre spezifische Kombination in der Zusammensetzung der Gesamtarbeitskraft geht: eine Kombination, in der der immateriellen Arbeit in historisch nie zuvor erreichter Qualität die Führung der Gesamtarbeit zufällt. Obwohl Hardt/Negri hier immer präzise waren, wird ihnen immer wieder die offensichtlich absurde These einer Ersetzung untergeschoben.

[17] Vgl. Vaneigem 1980, S. 52 – 61; Vaneigem analysiert das System des Druckausgleichs allerdings nur erst im Bezug auf die Blockkonfrontation.

[18] Natürlich nimmt sich die Komplementarität von Liberalismus und Fundamentalismus im tatsächlichen Geschehen insoweit komplizierter aus, als sich unter den Befürworter_innen des Empire auch Fundamentalist_innen finden, während es sowohl unter Liberalen wie an den Rändern verschiedener fundamentalistischer Strömungen Akteur_innen gibt, die in ihrem politischen Handeln zumindest implizit an einer Transzendenz des Empire arbeiten und darin weder transzendenzverleugnend noch immanenzverachtend sind. Diese Komplikationen werden sich in dem Maß klären, wie sie der tatsächliche Antagonismus vor ihr letztentscheidendes Entweder-Oder stellt.

[19] Marx 1976, S. 378.

[20] Systematisch vgl. Seibert 2009; vgl. auch Jäger 2003/2004.

[21] Marx 1973, S. 85ff.

[22] Zusatz kurz vor Drucklegung (1): Der aktuell noch unentschiedene Kampf um die Ukraine stellt hier eine weitere Eskalation dar – und das auf beiden Feldern: dem Feld der innerimperialen Konkurrenz und dem Feld der dritten Option. Sichtbar wird zum einen, wie schnell die innerimperiale Konkurrenz zur militärischen Auseinandersetzung führen kann – und das sogar auf europäischem Territorium. Sichtbar wird zum anderen, wie schwer die Ausbildung einer dritten Option sein wird – könnte sie in der Ukraine doch nur im Zusammenschluss der von ihrer eigenen Führung und dem Westen betrogenen Aktivist_innen des Kiewer Maidan-Platzes mit den von Russland betrogenen Aktivist_innen im Südosten des Landes ausgearbeitet werden. Auszuschließen – das wäre hier mein Punkt – ist eine solche Wendung aber nicht. Vgl. dazu Kagarlitsky 2014.

[23] Hardt/Negri 2002, S. 392.

[24] Marx 1973, S. 169.

[25] Roy 2004. Den Begriff „symbolisch“ verwende ich hier in der alltagssprachlichen Opposition von „bloß symbolisch“ und „effektiv wirksam“.

[26] Zur hier nur ganz kursorisch angesprochenen Geheimgeschichte unserer Epoche vgl. Mishra 2013.

[27] Kant 1984, S. 87 bzw. Marx/Engels 1959, S. 472.

[28] Zusatz kurz vor der Drucklegung (2): Mittlerweile ist die gegen Mursi gerichtete „zweite Welle“ der Tahrir-Bewegung zum Vorwand eines konterrevolutionären Militärputschs geworden. Auch diese Wendung belegt, wie schwer die Ausarbeitung einer dritten Option sein wird: schließt sie im ägyptischen Fall doch offensichtlich eine erst zu stiftende Kommunikation der im Liberalismus verfangenen Segmente der Mittelklasse mit den Segmenten der Unterklasse ein, die sich politisch von der Muslimbruderschaft artikuliert sehen. Wie im Verweis auf die Geschehnisse in der Ukraine wäre mein Punkt auch hier, dass eine solche Wendung zwar unendlich schwer sein wird, doch schon deshalb nicht auszuschließen ist, weil die jetzt regierenden Militärs beiden, der Mittel- wie der Unterklasse, außer Repression kein auf Dauer tragendes Angebot zu unterbreiten haben.

[29] Kojève 1975. Die fortlaufende Vertiefung eines als phänomenologische Ur-Szene der Freiheit gefassten Kampfes um Leben und Tod bildet eine Hauptachse der französischen politischen Philosophie, neben Kojève sind hier natürlich Georges Bataille und zuletzt Jean Baudrillard zu nennen.

[30] Hardt/Negri 2002, S. 321ff, im Zusammenhang 317 – 360.

[31] Marx/Engels 1959, S. 470, 471, 472.

[32] Ebd., S. 472

[33] Marx/Engels 1959, S. 470, 471, 472 sowie 465.

[34] Vgl. Hardt/Negri 2010, S. 13f, 50ff, 58, 67f, 87, 192ff, 205, 208, 210ff, 214, 255, 260, 266, 326f, 361, 364, 377, 386. Kronzeugen dafür sind wieder Franz v. Assisi und Spinoza. Die Abgrenzung zu Heidegger (S. 60ff) wäre kritisch zu diskutieren, sofern der Liebe wie der Armut Freiheit vorauszusetzen ist: was Heideggers Punkt ist, trotz allem; vgl. Heidegger 1996, S. 189f. Dieser Verkennung entspringen die produktivistischen Tendenzen bei Hardt/Negri wie Deleuze/Guattari.

[35] Beide in Atzert/Müller 2003, S. 122 bzw. S. 129.

[36] Lacan 1996, S. 88.

[37] Jäger/Seibert 2012, S. 12ff.

[38] Giraud 1975, S. 246.

[39] Marx 1964, S. 490, 495.

[40] Weber 1988, S. 260ff.

[41] Hardt/Negri 2002, S. 377ff.

[42] Vgl. Jäger/Seibert 2012, S. 39ff.

[43] Kojève 1975, S. 211.

[44] Platz der Verfassung.

[45] Auf eine derart militante Solidarität zielen die erstmals 2012 durchgeführten „Blockupy“-Tage in Frankfurt, die von occuypy-Aktivist_innen, der Partei DIE LINKE, attac, den radikalen Netzwerken Interventionistische Linke und Um’s Ganze sowie der Koordination no troika Rhein Main getragen werden. 2014 plant das Bündnis die (nicht nur) symbolische Blockade des Neubaus der Europäischen Zentralbank.