Blockupy und weiter

Anmerkungen zu einer Mobilisierung, die konstituierender Prozess werden will

Dieser Beitrag erschien im Heft 1/2014 der Zeitschrift LuXemburg und nimmt die Zeit der Monster in dem Moment in  den Blick, da eine positive Wende nahe zu sein scheint: nach dem Arabischen Frühling und seiner weltweiten Kommunikation, auf dem Höhepunkt der südeuropäischen Protestbewegung und der Solidarität, die ihr in Deutschland durch „Blockupy“ zuteil wurde. (Kurz)

Die Blockupy-Bewegung geht in diesem Jahr in ihre dritte und bisher wichtigste Runde. Wie schon 2012 und 2013 wird sie auch diesmal eine Frankfurter, zugleich aber eine deutschland- und europaweite Angelegenheit sein: darin liegt ja ihr leider noch nicht überall verstandener Witz. Den Auftakt bilden die europäischen Aktionstage im kommenden Mai. Sie beginnen am 15. Mai mit einer internationalen Demonstration gegen den in Brüssel tagenden EU-Gipfel, am 17. Mai folgen Demonstrationen in Hamburg, Berlin, Stuttgart und (vielleicht) Düsseldorf. Der Abschluss der Aktionstage fällt mit den Europawahlen zusammen, die vom 22. bis zum 25. Mai abgehalten werden. Ein dichtes Programm also, das für Blockupy selbst allerdings primär mobilisierenden Charakter haben soll. Denn irgendwann im Spätherbst wird die EZB ihr neues Domizil beziehen, ihren Frankfurter Twin Tower, künftige Schaltzentrale der europäischen Imperialität und zugleich Symbol der ihr eigenen Machtform: eine in Frankfurt von überall sichtbare Konstruktion, die mehr als nur ihre nächste Umgebung – ein einstmals proletarisches Viertel – unter ihren Schatten stellt.

Die imperialen Eliten können die Eröffnung ihrer Kontinentalkanzlei nicht nicht feiern: sie müssen den Einzug zum Spektakel von europaweiter Ausstrahlung machen, komme was und wer da wolle. Blockupy will und muss die Mittel und Wege finden, die geeignet sein werden, den Bezug der Twin Tower für die EZB und die in ihr verdichtete Politik zum Debakel werden zu lassen. Anlass genug, sich Zug um Zug zu vergegenwärtigen, worum es dabei geht, über den event selbst hinaus.

2012/2013: Wie sollen wir da mithalten?

Bekanntlich ist Blockupy aus einer doppelten Verlegenheit entstanden. Die erste betrifft primär die Linke in Deutschland und liegt in dem Umstand, dass es den deutschen Machteliten gelungen ist, die Mehrheit der eigenen Gesellschaft, alle politischen Parteien (außer der LINKEN) und die maßgeblichen Gewerkschaften (voran die IG Metall) hinter der imperialen Troika-Politik zu sammeln. Während der Arabische Frühling überall auf der Welt Aufstands- und Widerstandsbewegungen inspirierte, während Südeuropa monatelang zum Ort von Massendemonstrationen und –streiks wurde, ist Deutschland ein Hort von Ruhe und Ordnung: man ist hier nicht glücklicher als anderswo, im Gegenteil, doch man weiß, dass man hierzulande verhältnismäßig geschützt lebt – während in Griechenland, Spanien und Portugal bereits gehungert und aus Mangel an medizinischer Grundversorgung gestorben wird. Stützt die Mehrheit der Leute deshalb das herrschende Krisenregime, ist das im jeweiligen Einzelfall des privaten Lebens zwar verständlich, politisch aber dennoch fatal.

Zum Global Action Day 2012, angesetzt auf den 12. Mai, hätte die Linke in Deutschland deshalb kaum etwas beizusteuern gehabt. In dieser Situation kam eine ältere Idee einiger Frankfurter Linker zum Zug, die sich das Missverhältnis zwischen der imperialen Bedeutung der Stadt und der räumlichen Enge ihres Bankenviertels zunutze machen wollten. Besetzte man wochentags, so die Überlegung der Georg Büchner-Initiative, deren zentrale Verkehrsachsen und rief damit ein paar Tausendschaften Polizei auf den Plan, dann wäre die Stadt unter Mithilfe der Staatsmacht effektiv blockiert. Führte man diese Aktion, so anschließende Überlegungen aus der Interventionistischen Linken, attac, dem Um’s Ganze- und dem no troika-Bündnis sowie der hessischen LINKEN, nicht am Global Action Day, sondern ein paar Tage später aus, müsste man sich einerseits nicht mit südeuropäischen Massendemonstrationen messen, würde andererseits dennoch europaweit wahrgenommen: was man an Teilnehmer_innenzahl nicht aufbieten könnte, hätte man im Effekt wettgemacht, symbolisch und mehr als nur symbolisch.

Trägt das denn? Und wenn: wie weit?

Wie man weiß, ist diese Idee aufgegangen, nicht nur 2012, sondern auch 2013 – wenn auch zugegeben werden muss, dass die strategisch eingerechnete Zuarbeit der Polizei sehr viel brutaler ausfiel als gedacht. Die jüngsten Ereignisse in Hamburg beweisen, dass der aggressive Rechtsbruch der Staatsmacht Methode hat – und einen weiteren spezifisch deutschen Unterschied markiert. Setzt die Polizei in Griechenland, wo es militante Massenkämpfe gibt, nach wie vor auf die Zerstreuung der Menge und liefert sich damit den Gegenangriffen derer aus, die sie so nicht verschreckt, schlägt die deutsche Polizei „präventiv“ zu, kesselt Tausende bis zu zehn Stunden ein und verhängt im Anschluss über Tage hinweg den lokalen Ausnahmezustand.

Wenn die Idee Blockupys dennoch aufging, liegt dies daran, dass der staatliche Vorsprung auf der Ebene des Gewalthandelns politisch zur Niederlage wurde, schon im Verlauf der Aktion und dann – was wiederum auch für die Hamburger Vorkommnisse gilt – in der Zeit danach. Hatte die Polizei auf die Spaltung der Demonstration und damit des Blockupy-Bündnisses gesetzt, hat ihre Brutalität dessen Einheit nachhaltig gestärkt. Mehr noch: Das Vorgehen der Polizei und dessen ebenso unverfrorene wie dämliche Deckung durch eine den Tiefpunkt postdemokratischen Verfalls anzeigende Stadt- und Landesregierung hat Teile der liberalen Öffentlichkeit und des (kulturell, nicht parteipolitisch verstanden) rotgrünen Milieus zum offenen Widerspruch, 2013 schließlich zur aktiven Beteiligung an der Folgedemonstration provoziert. Insofern hat Blockupy das Potenzial, zum gemeinsamen Bezugspunkt der oppositionellen Teile der deutschen Gesellschaft zu werden: in Zeiten einer Großen Koalition nicht zu unterschätzen, wenn auch weiterhin Sache einer Minderheit.

Radikale gesellschaftliche Linke

Relevant wird das auch und gerade in Bezug auf die zweite Verlegenheit, auf die Blockupy zu antworten sucht. Die besteht in der Nötigung, die in der EU konstituierte und in der Troika verdichtete imperiale Kooperation transnational bekämpfen zu müssen. Mit dieser Nötigung aber kommen die beiden Hauptvorwürfe ins Spiel, die gegen die Blockupy-Mobilisierungen erhoben werden. Der erste Vorwurf besteht darin, dem Bündnis und besonders der IL eine „event-bezogene Kampagnenpolitik“ zuzuschreiben: ein Vorwurf, der übrigens auch im Bündnis und in der IL erhoben wird. Ihm folgt der Vorwurf einer quasi-antiimperialistischen „Solidaritätspolitik“: aus Unlust am mühseligen Geschäft unspektakulärer Tageskämpfe im eigenen Land ergötze man sich am imaginären Beitritt zum südeuropäischen oder gar weltweiten Massenwiderstand. Beide Vorwürfe sind offensichtlich nicht ohne Anhalt in der Sache, artikulieren aber das Unverständnis des eigentlichen Witzes Blockupys, von dem oben schon die Rede war. Gehen wir der Reihe nach vor.

Dass die Linke sich nicht allein in terminierten „event“-Mobilisierungen, sondern mindestens ebenso, wenn nicht eher noch mit ihren Interventionen in lokale soziale Alltagskämpfe zu bewähren hat, ist eine unbestreitbare Basisbanalität des politischen Handelns als eines solchen (um das jetzt mal philosophisch festzuhalten). Genauso richtig aber ist es, dass auch Basisbanalitäten des politischen Handelns unter historischem Index stehen. Man kann das wunderbar an den diversen Projekten „militanter Untersuchung“ belegen, einem anderen Desiderat linker Politik: so überzeugend ihr letzter großer Erfolg im Italien der 1960er Jahre noch heute ist, so zeigt das Scheitern der meisten Nachfolgeunternehmungen, dass „militante Untersuchungen“ – also strategische Kommunikationen zwischen „subalternen“ Milieus und dissidenten Intellektuellen – nur gelingen können, wenn sie beiderseits bereits gewünscht werden. Mit lokalen sozialen Alltagskämpfen steht es nicht anders: auch wenn es sie immer gibt und sie immer unverzichtbar sind, kommt ihnen nicht immer strategische Bedeutung zu. In einer klassenübergreifend krisenkorporatistischen Mehrheitsgesellschaft wie aktuell der deutschen kommt es, das ist ein Moment des Witzes von Blockupy, eher auf die politische Artikulation der gesellschaftlichen Minderheit, wenn nötig ihre organisierte Abtrennung vom herrschenden Block an. Diese historische Besonderheit manifestiert sich auch im Unterschied Blockupys zur vorangegangenen globalisierungskritischen Bewegung. Legte die großen Wert darauf, nicht auf einen definitiven Antikapitalismus festgelegt zu werden, ist Antikapitalismus in Blockupy zwar längst nicht ausbuchstabiert, doch allseits anerkannt. Dem entspricht die orientierende Rolle, die im Bündnis der IL bzw. den erklärtermaßen linksradikalen Teilen zufällt. Im Umkehrschluss heißt das, dass sich zumindest der orientierende Teil des Bündnisses auch auf diese Aufgabe konzentrieren muss – anstelle sich in der Anbahnung oder im Verstärken lokaler sozialer Kämpfe zu verzetteln, die im Übrigen ganz gut ohne forcierte linksradikale Beteiligung zurechtkommen. In einigen internen Diskussionspapieren ist an dieser Stelle von der Bildung einer „radikalen gesellschaftlichen Linken“ die Rede, einer spektrenübergreifenden politischen Allianz, deren Konsens in der Verbindung eines zwar vagen, doch ausdrücklich erklärten Antikapitalismus mit einem Anspruch auf erneuerte oder allererst herzustellende, in der Praxis aber jetzt schon „ungehorsame“ Demokratie besteht: „Ihr wollt Kapitalismus ohne Demokratie, wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus!“

Die Krise zurückgewinnen

Mit diesem Konsens schließt Blockupy, und damit sind wir beim zweiten Vorwurf, an die Widerstandsbewegungen in Südeuropa und an jüngere außereuropäische Proteste an. Es ist dies keine imaginäre Identifizierung und keine schlecht-antiimperialistische „Solidarität von uns hier mit denen dort“, sondern die praktische Anerkennung des „Eingeschifft-seins“ in ein gemeinsames Projekt. Wenn dieses Projekt gegenwärtig so wenig ausbuchstabiert ist wie der ihm zugehörige Antikapitalismus, dann ist das kein Einwand. Strategisch wäre das wie folgt zu formulieren: Die politische Aufgabe, die Blockupy gestellt ist, liegt weniger im Versuch einer Änderung der politischen Mehrheitsverhältnisse in Deutschland als in dem Versuch, gegen das „Europa der Troika“ ein „Europa von unten“ zu konstituieren (dass das grobe Metaphern sind, weiß ich selbst: mir kommt es auf das an, was mit ihnen intendiert ist). In diesem Satz ist die historisch unumgängliche Anerkennung, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft klassenübergreifend dem „Europa der Troika“, Blockupy ebenso klassenübergreifend dem „Europa von unten“ zugehört, ebenso wichtig wie das betonte „weniger als“ (anstelle eines Entweder-Oder). Was genau aber ist damit gemeint? Vielleicht dies: Will man die politischen Mehrheitsverhältnisse auch in Deutschland ändern, ist dies aktuell nur im Anschluss an den südeuropäischen Widerstand möglich. Die dabei leitende Hoffnung liegt darin, dass neue Mehrheiten (nicht nur in Deutschland) nicht im direkten Zugang auf die Mehrheit, sondern von den Rändern her zu gewinnen sind. Mit klassischen Antiimperialismus hat das nichts zu tun.

Worin aber bewährt sich das Projekt eines der autoritär-neoliberalen Postdemokratie der Troika entgegengesetzten, demokratisch-antikapitalistischen und transnationalen Europa, das als solches immer mehr als nur Europa ist? Darin, dass es ihm in jedem seiner spezifischen Kämpfe um den gleichen Einsatz geht. Worin besteht dieser Einsatz? Was verbindet, um das polar zu fassen, den Versuch Syrizas, die Mehrheit wenigstens der griechischen Wähler_innen zu gewinnen, mit dem Versuch Blockupys, die gesellschaftlichen Minderheiten zu sammeln, die den krisenkorporatistischen Konsens verweigern? Man kann und muss das im Gegenzug auf den aktuell letzten Zug des herrschenden Blocks fassen. Dieser geht jetzt dazu über, von der Krise als einer bereits gelösten und abgeschlossenen Krise zu sprechen. Dem entspricht die Selbstinszenierung der Großen Koalition, dem entspricht auch der Vorstoß des EU-Parlaments, eine Auflösung der Troika zumindest in Aussicht zu stellen. In beiden Fällen werden die „Reformen“ des Krisenregimes – analog zum Umgang mit den „Reformen“ des Hartz IV-Regimes – nicht nur nicht angerührt, sondern gerade in der Revision der einen oder anderen „unnötigen Härte“ oder „Untragbarkeit“ ausdrücklich bestätigt. Die damit gesetzten gesellschaftlichen Verhältnisse kann eine mögliche Syriza-Regierung für sich allein so wenig beseitigen wie eine Blockupy-Bewegung, der es erfolgreich gelungen wäre, das Fest der EZB in ein Desaster zu verkehren und Auch beide zusammen nicht. Die Krise präsent halten: auch einem von der Troika „befreiten“ und ökonomisch stabilisierten Europa eine Krise aufzwingen: diesmal eine primär politische. Blockupy nicht außerhalb der Klassenkämpfe: doch ist die Klassenzusammensetzung seiner vordersten Front komplex. Probe: bejahte Transnationalität. Gelingt dies, wird sich auch der Möglichkeitshorizont lokaler sozialer Alltagskämpfe erweitert haben: im Projekt des transnationalen Metrpolenstreiks. Einen konstituierenden Prozess zu beginnen, ist schön, macht aber viel Arbeit.