Die Konstitution des Empire

Globale Herrschaft: Globale Revolution

Die Debatte um Empire fand ihren Ort auch in einer Vielzahl von Veranstaltungen der Alterglobalisierungsbewegung, initiiert von lokalen oder regionalen Sozialforen, Ortsgruppen von attac oder der Interventionistischen Linken, Landesbüros der Rosa Luxemburg Stiftung, akademischen Zirkeln – oder Einzelpersonen. Diesen Vortrag, einigen anderen ähnlich, hielt ich im Januar 2004 in Tübingen – ich dokumentiere ihn als Beispiel und weil er den Gegenstand der Debatte – die Konstitution des Empire – auf den Punkt bringt. (Länger)

Kaum ein Buch der politischen Philosophie hat in jüngster Zeit so viel Wirbel verursacht wie Michael Hardt’s und Toni Negris Empire. Das liegt ohne Zweifel auch am Kulturbetrieb – der Hype um das Buch entsprang der methodisch kurzlebigen Begeisterung des Feuilletons – , das liegt – soweit es die nahezu einhellige Ablehnung durch die deutsche akademische Linke betrifft – auch an den Konkurrenzverhältnissen unter den mittlerweile nicht mehr allzu zahlreichen marxistischen Intellektuellen und dabei natürlich an der Person Toni Negris. Immerhin gibt es keinen zweiten Professor der politischen Wissenschaften, der in der Folge seines wissenschaftlichen und politischen Engagements in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union unter offenkundig falscher Anklage zu 34 Jahren Haft verurteilt wurde, dafür in einem anderen EU-Land politisches Asyl erhielt und nach der freiwilligen Rückkehr 1997 bis zur vollen Verbüßung der ursprünglich vorgesehenen Haftzeit im Gefängnis Rebibia bei Rom zu leben gezwungen war.

Tatsächlich gründet die Aufregung um Empire in der Sache aber auch und gerade im strategischen Einsatz des Buches: den Begriff der Revolution in die politische, gesellschaftswissenschaftliche und philosophische Diskussion zurückzubringen. Darin darf der Streit um das Buch als zeitdiagnostisches Symptom gewertet werden: zehn Jahre früher erschienen, wäre es zum Flop und außerhalb versprengter Zirkel nicht einmal zur Kenntnis genommen worden.

Fangen wir der Verständlichkeit halber mit einer definitorischen Bestimmung des Empire an.

Empire – Imperium – nennen Hardt/Negri die neue, dezentrale und grenzenlose Form der Souveränität, die aus dem Prozess der Globalisierung und seiner Durchsetzung und Absicherung durch ein „weltpolizeiliches“ Militär hervorgeht. „Empire“, so heißt es zu Beginn des ersten Kapitels, „ist als Untersuchungsfeld in erster Linie durch die simple Tatsache bestimmt, dass es eine Weltordnung gibt.“ (E, 19). Es legitimiert sich politisch und juridisch unter Berufung auf universale Menschenrechte und durch die Erhebung der metropolitanen „Lebensweise“ zur universellen Dominanzkultur, es legitimiert sich zugleich unter Berufung auf unausweichliche Sachzwänge einer von transnationalen Konzernen, internationalen Finanzorganisationen und den Regierungen der mächtigsten Staaten der Welt global durchgesetzten Wirtschaftspolitik.

Das Imperium ist überall, es ist netzförmig organisiert und konstituiert sich als Biomacht, d.h. als auf die Erhaltung und Steigerung der Produktivität von Leben gerichtete Herrschaft. Folgte die Biomacht zunächst primär einer Logik der Disziplin, nach der sie das Verhalten von Individuen und Gruppen durch äußeren Zwang zu lenken suchte, um – mit Foucaults Worten – Kombinate „gelehriger Körper“ zu schaffen – so folgt sie in ihrer aktuellen Ausprägung eher einer Logik der Kontrolle, in der die Führung des Verhaltens in die Subjektivitäten selbst verlegt wird.

Dabei zielt Biomacht auf deren umfassende Mobilisierung und Flexibilisierung, um aus der Fähigkeit zur Selbstorganisation und Selbstführung der Subjekte in den miteinander verschwimmenden Bereichen Ökonomie, Politik und Kultur Wert zu schöpfen und Herrschaft zu stabilisieren. Im Übergang vom Disziplinar- zum Kontrollregime trägt sie wesentlich zur Herausbildung einer neuen und global integrierten Produktionsweise bei, in der lebendige Arbeitskraft unter dem Primat von Wissen, Sprache und Affektivität zur Produktion des sozialen Zusammenhangs selbst eingesetzt wird. Diese Produktion wird deshalb auch „immateriell“ genannt und tendiert nach der zentralen These Hardt/Negris auf eine „reelle Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital“.

Und: Gerade weil sie sich auf die Erhaltung, Pflege und Steigerung richtet, setzt Biomacht in historisch einzigartigem Maß Gewalttätigkeit frei: „Der biopolitische Zusammenhang“, so formuliert Negri bündig, „heißt Krieg.“ (P) Das wiederum resultiert daraus, dass zur produktiven Inwertsetzung des gesellschaftlichen Lebens – nur scheinbar paradox – eine millionenfache Ausschließung von unproduktivem Leben gehört: unproduktiv in dem Sinn, dass an ihm ein Verwertungsinteresse nicht besteht. Nochmal Negri: „Die Hälfte der Menschheit (und zunehmend mehr) stellt die imperiale Biomacht jeden Tag vor die Aussicht, ermordet zu werden oder die Möglichkeit zu leben entzogen zu bekommen. In dieser ausgeschlossenen Hälfte nun beginnt der Exodus aus dem Imperium: über die Grenzen und gegen die polizeiliche Ordnung.“ (P) Wenn das so ist, lohnt sich eine genauere Lektüre dessen, was Hardt/Negri im doppelten Sinn des Worts die „imperiale Konstitution“ nennen: Konstitution im Sinn der Verfassung und im Sinn der Entstehung, der Herausbildung des Empire. Ihr sind die Kapitel 5 und 6 des III. Teils des Buches gewidmet, überschrieben: „Passagen der Produktion“

Empire und Globalisierung

Die imperiale Konstitution ist zunächst einmal gar nichts anderes als das, was der Allerweltsbegriff der Globalisierung fassen soll. Die Globalisierung hat, auch das ist ein Gemeinplatz, die Ausdehnung der Macht transnationaler Konzerne jenseits und außerhalb der tradierten Grenzen von Nationalstaaten vorangetrieben und deshalb zu einem grundstürzenden Umbruch im Verhältnis von Ökonomie und Politik oder Kapital und Staat geführt.

Historisch unterscheiden Hardt/Negri dabei drei Phasen:

1.) In der Durchsetzungsphase des europäischen Kapitalismus im 18. und 19. Jahrhundert interveniert der Staat nur sehr beschränkt in die Expansion des Kapitals und die freie Konkurrenz kleiner Kapitalisten, lässt ihnen vielmehr, vor allem außerhalb Europas, freie Hand. So operieren europäische Handelsgesellschaften auf kolonialen oder präkolonialen Territorien in eigener Souveränität, etablierten ihr eigenes Gewaltmonopol, ihre eigene Polizei und eigene Gerichtsbarkeit. Für die niederländische Vereinigte Ostindische Kompagnie gilt dies auf Java beispielsweise bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, für die britische East India Company bis zur Mitte des 19., für die freie Herrschaft privatwirtschaftlicher Entrepreneurs im südlichen Afrika sogar bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.

2.) Das Verhältnis zwischen Staat und Kapital ändert sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert unter dem Druck zunehmender Krisen. In Europa und den USA entstehen Konzerne, Trusts und Kartelle, die in einzelnen industriellen Branchen oder bestimmten Bereichen Quasi-Monopole weit über nationalstaatliche Grenzen errichten. Die Monopolisierung lähmt die Dynamik kapitalistischer Konkurrenz und unterminiert zugleich staatliche Handlungsfähigkeit. Die riesigen Kapitalgesellschaften setzen ihre Partikularinteressen immer häufiger gegenüber den Interessen des Gesamtkapitals durch. Bis in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts suchen die nationalen Staaten den Monopolen deshalb nach innen wie nach außen Grenzen zu ziehen, wozu nicht zuletzt die unter dem Druck des inneren Klassenkampfs wie unter dem Druck der west-östlichen Systemkonkurrenz durchgesetzte sozialstaatliche Regulation der Arbeitsorganisation wie der Arbeitsteilung gehört.

3.) Im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts beginnt eine neue Phase im Verhältnis von Politik und Ökonomie, in der die nationalen Staaten ihre Souveränität zur Herstellung der jeweils günstigsten Verwertungsbedingungen eines transnational operierenden Kapitals einsetzen. Der geläufige Globalisierungsdiskurs sieht darin eine Unterwerfung des Staates unter einer globale Konzernherrschaft. Zeichnen deren KritikerInnen apokalyptische Bilder eines „entfesselten“ Kapitalismus, beschwören deren Apologeten ein glückliches Zeitalter der Deregulierung und des Freihandels.

Hardt/Negri gehen demgegenüber gerade nicht von einer Niederlage oder Auflösung staatlicher Souveränität aus, sondern von deren globaler Transformation im Rahmen der Konstitution des Empire nicht als eines globalen Staates, wohl aber als einer globalen Staatlichkeit neuen Typs.

Dabei verliert das Konzept der nationalen Souveränität an Gewicht, und mit ihm die sogenannte Autonomie des Politischen. „Heute hat eine Vorstellung von Politik als unabhängige Sphäre, in der Konsens hergestellt und die Konflikte gesellschaftlicher Kräfte vermittelt würden, wenig Existenzberechtigung. Konsens wird viel eher und deutlicher durch ökonomische Faktoren beeinflusst, etwa durch das Handelsbilanzgleichgewicht oder durch Geldwertspekulation. Solche Bewegungen unterliegen nicht der Kontrolle der politischen Kräfte, von denen traditionellerweise angenommen wird, sie hielten die Souveränität in Händen. Der Konsens wird auch nicht durch die klassischen politischen Mechanismen bestimmt. Regierungshandeln und Politik finden sich völlig in ein System des transnationalen Kommandos integriert. Kontrolle artikuliert sich in einer Reihe von internationalen Körperschaften und Funktionen. Das gleiche gilt für die Mechanismen politischer Vermittlung, die entsprechend der Logik der Bürokratie und der Managementsoziologie funktionieren und nicht mehr traditionellen politischen Vorstellungen von Konflikt und Versöhnung, Vermittlung und Klassenkampf entsprechen. Politik verschwindet dabei nicht; was verschwindet, ist jede Art Bedeutung der Autonomie des Politischen.“ (E, 318)

Die Pyramide der Macht

Im Prozess der Konstitution eines transnationalen Empire machen Hardt/Negri eine dreistufige Pyramide aus, die als ein „Raster (…) weniger Elemente anordnet als vielmehr Politik und Recht weltweit einen relativ kohärenten Horizont bietet.“ (E, 320)

1.) An der Spitze der Pyramide finden sich die USA als Träger eines tendenziell globalen Gewaltmonopols, das sie entweder allein oder im Verbund anderer Mächte durchzusetzen und wahrzunehmen suchen. Ebenfalls auf der obersten Stufe der Pyramide verorten Hardt/Negri die Gruppe der im globalen Zusammenhang dominanten Nationalstaaten und die von ihnen kontrollierten Internationalen Finanzinstitutionen. Diese Nationalstaaten koordinieren sich untereinander im Verbund der sog. G8, in den Clubs von Paris, London oder Davos etc. Die privilegierte Position der USA lässt das Empire aber nicht zum amerikanischen Imperium werden, Washington ist nicht Rom.

2.) Auf der zweiten Stufe der Pyramide operieren die Netzwerke der transnationalen Unternehmen – „Netzwerke aus Kapitalströmen, Technologieströmen oder Migrationsströmen“ -, die weltweit organisieren, was Hegel das „System der Bedürfnisse“ nannte: „Der Weltmarkt homogenisiert Territorien, differenziert sie zugleich aus und schreibt die Geografie des Globus damit neu.“ Er tut dies auch und gerade vermittels der unter seine Einheit subordinierten Nationalstaaten, die damit „zu Filtern im Fluss der globalen Zirkulation und zu Reglern an den Verbindungsstellen des globalen Kommandos werden. Anders gesagt: Sie bündeln und verteilen den Reichtum, der in Richtung der globalen Macht und von ihr weg fließt, und disziplinieren zugleich die Bevölkerungen nach Maßgabe des Möglichen.“ (E, 321)

3.) Auf der dritten und breitesten Stufe schließlich agieren die Kräfte, „die innerhalb der globalen Machtanordnung populäre Interessen repräsentieren.“ Dazu gehören die eher subalternen Nationalstaaten und ihr Zusammenschluss in der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die in der Regel aber nur zu einer eher symbolischen Einschränkung der Dominanzmächte in der Lage sind. Dazu gehören dann auch die anderen Medien der sog. „Zivilgesellschaft“ – allen voran die Medien selbst, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, schließlich und vor allem das in sich außerordentlich heterogene Spektrum zehntausender Nicht-Regierungs-Organisationen.

Das Modell des Polybios

Im Schritt von der Deskription zur theoretischen Bestimmung spuren Hardt/Negri die dreigeteilte Pyramide imperialer Konstitution hinter die moderne Staatstheorie auf Polybios’ Beschreibung des Imperium Romanum (bis ca. 216 v. Chr.) zurück. (E, 324ff.) Für Polybios vereinte das Imperium „die drei ‚guten’ Formen der Macht: Monarchie, Aristokratie und Demokratie, verkörpert in der Person des Imperators, im Senat und in den Komitien des Volks. Das Imperium verhinderte, dass diese guten Formen im Teufelskreis der Korruption verfielen, durch den aus der Monarchie die Tyrannei wird, aus der Aristokratie die Oligarchie und aus der Demokratie die Ochlokratie oder Anarchie.“ (ebd.) Dabei sichert die Monarchie Einheit und Fortbestand der Macht selbst, während die Aristokratie für Gerechtigkeit, Maß und Tugend und die Demokratie nach einer Logik der Repräsentation das Volk unter die Herrschaft der Regierung bringt und diese im Gegenzug zur Befriedigung seiner Bedürfnisse verpflichtet. Hardt/Negri zufolge entspricht das in einer Anordnung unterschiedlicher sozialer Mächte begründete polybianische Modell der Konstitution des Imperiums eher als seine Reformulierung in der liberalen Tradition, in der von den konkreten sozialen Mächten zugunsten einer funktionalen Formalisierung der Souveränität nach Exekutive, Judikative und Legislative abstrahiert wurde: genau in diesem Sinn ist ihr Begriff des Imperiums nicht metaphorisch gemeint.

Disziplin und Kontrolle

Trotzdem behaupten sie einen grundlegenden Unterschied zwischen antikem und postmodernem Imperium, den sie an einer doppelten Hybridisierung der Machtausübung festmachen. Zum einen findet im Empire eine Hybridisierung der monarchischen, der aristokratischen und der demokratischen Regierungsfunktionen statt, sofern es auf allen Ebenen um dieselbe „Herrschaft über die Einheit des Weltmarkts“ geht, in der zuallererst „die Zirkulation von Waren, Technologien und Arbeitskraft zu garantieren (ist) — also im Endeffekt die vereinigende Dimension des Weltmarkts.“ Es müssen vertikale Verbindungen zwischen Zentrum und Peripherie hergestellt werden, um Waren produzieren und verkaufen zu können; es müssen ProduzentInnen und KonsumentInnen durch Märkte und über sie hinaus in Beziehung gesetzt werden, vor allem dann, wenn die Produktion von Waren qualitativ durch immaterielle Dienstleistungen und in Netzwerkstrukturen erfolgt.“ (E, 327f.) Zum anderen zielt Herrschaft im Empire weniger auf die Bemächtigung des Raums als auf die Bemächtigung der Zeit und folglich der Dimension der globalen intersubjektiven Kooperation und Kommunikation. „Genau an dieser Stelle ist der wichtigste qualitative Sprung zu erkennen: vom Paradigma der Disziplinar- zu jenem der Kontrollgesellschaft. (…) Herrschaft zielt direkt auf die Bewegungen produktiver und kooperativer Subjektivitäten; Institutionen werden kontinuierlich den Regeln dieser Bewegungen entsprechend formiert und reformiert (…) Ganz allgemein lässt sich der Aufbau der imperialen Konstitution als Form eines rhizomatischen und universellen Kommunikationsnetzes begreifen, in dem zwischen allen Punkten oder Knoten Beziehungen hergestellt werden.“ (E, 329.) Dabei ist noch einmal hervorzuheben, dass die produktive Inwertsetzung der gesellschaftlichen Kommunikation und Kooperation – die reelle Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital – einerseits in globaler Dimension erfolgt, andererseits millionenfach überflüssiges gesellschaftliches Leben, überflüssige Subjektivität produziert und sich deshalb sowohl als universelles Spektakel freier Partizipation wie als weltpolizeiliches Gewaltmonopol organisiert, dem die Sicherung des produktiven durch den Ausschluss und die Ausgrenzung des unproduktiven Lebens obliegt:

einerseits gilt es, die globalen Überschussbevölkerungen in ihren Territorien zu sistieren und ihren Einbruch wie ihr Einsickern in die Territorien der produktiven Bevölkerungen weitestgehend und das heißt notwendigerweise gewaltsam zu unterbinden; andererseits muss die Loyalität der produktiven Bevölkerungen primär mittels ihrer freiwilligen Partizipation erreicht werden, gilt es doch, von ihrer Subjektivität und Intersubjektivität, das heißt ihrem Wissen, ihrer Sprachlichkeit und ihren Affekten zu profitieren.

Dabei setzt das Empire sowohl seine globale Ausdehnung wie seine universelle Legitimation ein, d.h. gerade seine Verfassung als einerseits global ausgedehnte und andererseits universale Legitimation ein, d.h. sich selbst als Weltordnung: „Wie Thukydides, Livius und Tacitus lehren (und natürlich Machiavelli, wenn er ihre Schriften kommentiert), formt sich ein Imperium nicht auf der Grundlage von Gewalt, sondern aufgrund der Fähigkeit, den Einsatz von Gewalt als im Dienst des Friedens und des Rechts darzustellen. Alle Interventionen der imperialen Streitkräfte werden von einer oder mehrerer Parteien in einem bereits bestehenden Konflikt erbeten. Das Empire entsteht nicht aus freien Stücken, es wird ins Leben gerufen, konstituiert aufgrund seiner Fähigkeiten zur Konfliktlösung. (…) Die erste Aufgabe des Empire besteht daher darin, den Bereich des Konsenses und der Zustimmung zur eigenen Macht auszudehnen.“ (E, 31). Und weiter Hardt/Negri, geschrieben wohlgemerkt vor dem 11. 9. 2001: „Das Empire entsteht heute als Zentrum, das die Globalisierung von Netzwerken der Kommunikation trägt und ein Netz der Inklusion einsetzt, um möglichst alle Machtbeziehungen innerhalb der neuen Weltordnung einzufassen. Zur gleichen Zeit setzt es Polizeimacht gegen die neuen Barbaren und die rebellischen Sklaven ein, die diese Macht bedrohen.“ (E, 35) Durchsetzung oder Scheitern des Empire hängen deshalb an der Beantwortung der folgenden, seinen Aufstieg oder Fall entscheidenden Fragen: „Wie ist die Legitimation der Ordnung durch Präventions- und Polizeimaßnahmen damit vereinbar, dass Krise und Krieg selbst die Entwicklung und Legitimität dieses Gerechtigkeitsbegriffs in Frage stellen? (…) Wer wird darüber entscheiden, was Gerechtigkeit und Ordnung heißt, während diese Totalität sich im Konstitutionsprozess ausdehnt? Wer wird in der Lage sein, den Begriff Frieden zu definieren? Wer wird in der Lage sein, die Geschichte im Verlauf dieser Entwicklung auszusetzen und diese Aussetzung gerecht zu nennen? Was diese Fragen angeht, ist die Problematik des Empire vollkommen offen, nicht geschlossen.“ (E, 34)

Kommunistisches Manifest des 21. Jahrhunderts

Brechen wir das Referat des Buches selbst an dieser Stelle ab und stellen seine Aktualität auf die Probe. Slavoj Zizek hat Empire als das „kommunistische Manifest für unsere Zeit“ bezeichnet. Um darüber zu befinden, muss man sich zunächst einmal des Originals, des Marx-Engelsschen Manifest der Kommunistischen Partei erinnern. Wirkungsmächtig wurde dieses Manifest ganz offensichtlich nicht durch die empirisch ausgewiesene Triftigkeit des in ihm entwickelten historischen Szenarios: das Manifest war und ist keine Beschreibung eines empirisch gegebenen Zustands, sondern geht eine theoretische und politische Wette auf eine diesen Zustand der Möglichkeit nach umwälzende Tendenz ein. Der unterstellte Zustand selbst wird im Manifest aus der Perspektive dieser Tendenz konstruiert. Die mit der Zustimmung zu ihm eingegangene Wette gründete folglich allein darin, ob zu Recht oder zu Unrecht von einer solchen Tendenz als einer immanenten Möglichkeit die Rede sein konnte, oder ob hier lediglich ein utopischer bzw. ein normativer Diskurs entwickelt wurde. „Der Kommunismus“, so schreiben Marx und Engels in der Deutschen Ideologie, „ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung.“ (MEW 3, 35f.)

Hardt/Negri scheinen in Empire gleich eine ganze Reihe definitiver Epochenfolgen zu unterstellen: von der Moderne zur Postmoderne, vom Imperialismus zum Empire, von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft und zuletzt, in der Ankunft begriffen, den Epochenbruch zwischen dem Empire und dem Kommunismus. Wer das Buch aufmerksam liest stellt fest, dass die behaupteten Epochenbrüche immer wieder relativiert werden, weil die theoretische, aber auch die realhistorische Problematik des Empire – wie im letzten Zitat explizit festgehalten – hinsichtlich der über sein Schicksal entscheidenden Fragen „vollkommen offen, nicht geschlossen“ ist. Dass erst dieser Selbstvorbehalt eine angemessene Lektüre des Buches ermöglicht, ergibt sich auch aus seinem Aufbau. Die beiden mittleren seiner insgesamt vier Teile behandeln nämlich ausdrücklich Passagen, Übergänge: Passagen der Souveränität (II) und Passagen der Produktion (III). Das Empire findet sich dabei eben nicht am von gestern und heute aus gesehen „anderen Ende“ der Übergänge, sondern es ist selbst die gemeinte Passage, selbst der gesuchte Übergang. Wohin die Passage führt, ist ebenso wenig ausgemacht wie ob sie überhaupt im Sinne einer Epochenfolge gedacht werden kann. Das Empire ist, so sagen Hardt/Negri immer wieder, eine auf Permanenz gestellte Krise, d.h. ein Medium der Entscheidung und einer entscheidenden Wende: kein bereits gegebener Zustand sondern eine in diesem Zustand wirkende und unaufhörlich umkämpfte Tendenz: wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt, Bewegung, die über sich selbst hinaus zu treiben ist, auf die in ihr eröffnete Möglichkeit universeller Emanzipation. Empire ist in diesem Sinn, wie das Marx’-Engelssche Manifest, ein tendenziöses Buch.

Das zeigen, und damit komme ich zum Schluss, die Auseinandersetzungen um den Dritten Golfkrieg und die Besatzung des Irak. Hier wurde zum einen klar, dass die für das Empire existenzentscheidenden Fragen auf keiner seiner Stufen entschieden sind. Um in der Sprache Hardt/Negris zu bleiben: Der Konflikt zwischen der amerikanischen Monarchie und den aristokratischen Mächten des „Alten Europa“ sowie Russlands und Chinas dreht sich offensichtlich nicht um die Notwendigkeit imperialer Konstitution als solcher, nicht um die Notwendigkeit einer Herrschaft über die Einheit des Weltmarkts, sondern exakt um die von Hardt/Negri gestellten Fragen, noch einmal: „Wer wird darüber entscheiden, was Gerechtigkeit und Ordnung heißt, während diese Totalität sich im Konstitutionsprozess ausdehnt? Wer wird in der Lage sein, den Begriff Frieden zu definieren? Wer wird in der Lage sein, die Geschichte im Verlauf dieser Entwicklung auszusetzen und diese Aussetzung gerecht zu nennen?“ Zugleich zeigen die Debatten auf dem gerade zuende gegangenen Weltsozialforum in Mumbai, dass dieselben Fragen auch von der Seite aufgeworfen werden, die Hardt/Negri als antagonistische Seite der globalen Multituden bezeichnen. In ihrer weltweit beachteten, doch leider nicht überall korrekt mahnte die indische Schriftstellerin Arundhati Roy zunächst einmal an, dass sich die Bewegungen des Sozialforum als „im Krieg befindlich“ verstehen sollten. Den Krieg der Multituden entwarf sie dann wie folgt: „Wenn wir also gegen den Imperialismus sind, sollten wir dann darin übereinstimmen, dass wir gegen die US-Okkupation sind und dass wir glauben, dass die USA sich aus Irak zurückziehen und dem irakischen Volk Reparationen für die Kriegsschäden zahlen müssen? Wie beginnen wir mit unserem Widerstand? Beginnen wir mit etwas wirklich kleinem. Die Frage ist nicht, den Widerstand im Irak gegen die Besatzung zu unterstützen oder zu debattieren, wer genau zum Widerstand im Irak gehört: Sind sie alte Baath-Killer? Sind sie islamische Fundamentalisten? Wir müssen der globale Widerstand gegen die Besatzung werden. Unser Widerstand muss mit der Zurückweisung der Legitimität der US-Okkupation Iraks beginnen. Das bedeutet Handeln, um es dem Imperium unmöglich zu machen, seine Ziele zu erreichen. Es bedeutet, Soldaten sollten sich weigern zu kämpfen, Reservisten sich weigern, eingezogen zu werden. Arbeiter sollten es ablehnen, Schiffe und Flugzeuge mit Waffen zu beladen. Es bedeutet auch, dass wir in Ländern wie Indien und Pakistan die Pläne der US-Regierung zum Scheitern bringen müssen, indische und pakistanische Soldaten zum Saubermachen nach Irak zu schicken.“ Arundhati Roy nimmt damit den strategischen Einsatz des Buches von Hardt/Negri auf: Was das Empire gewesen sein wird, entscheiden die Kämpfe, die um seine Konstitution geführt werden. Die Theorie nimmt an diesen Kämpfen teil. Es scheint mir dem strategischen Einsatz des Buches von Michael Hardt und Toni Negri angemessen, eine Diskussion um Empire mit diesen Worten zu eröffnen.