Versuch, die Spontis der 70er Jahre vor ihrer staatstragenden Derrière-Garde zu schützen.
Die in Frankfurt und Rüsselsheim aktive Gruppe „Revolutionärer Kampf“ (RK) und die anderen „WWA“-Gruppen der frühen 1970er fanden sich damals unstrittig in der vordersten Linie der sozialen Kämpfe. Als sie Jahre später wegen eines gewissen Bundesaußenministers ins Gerede kamen, nahm ich sie vor diesem Herrn in Schutz. Der Beitrag erschien im Heft 118/2001 der linkssozialdemokratischen Zeitschrift spw, die – was immer man sonst zu ihr sagen will – ihrer in die 1920er Jahre zurückreichenden Geschichte stets treu blieb.
Ein Gespenst geht um in der Berliner Republik – das Gespenst des Spontaneismus. Alle Mächte dieses jungen Staatswesens haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, die christdemokratische Reaktion und die Zaren der Medienindustrie, Ex-Radikale, die zwar nicht an die Macht, doch wenigstens an die Regierung gelangt sind ebenso wie deren biedere Konkurrenten, die nicht verwinden können, von früheren Strassenkämpfern abgelöst worden zu sein.
Ihre Popularität verdankt die sogenannte “Debatte” um die sogenannten “68er” zwei erfolgreichen Täuschungsmanövern. Erstens handelt es sich nicht um eine Debatte, sondern um ein massenmedial inszeniertes Ritual, in dem die Infamie professioneller Desinformanten und der bigotte Geständnis- und Distanzierungszwang von Konvertiten sich gegenseitig verstärken. Zweitens geht es dabei nur vordergründig um die 68er. Denn, Hand aufs Herz: “68” gehört längst zu den positiven Gründungsmythen der Berliner Republik. Mehr noch: Die Berufung auf die “Studentenrevolte” legitimiert geradezu das in seinem “Ernstfall” zuletzt im Kosovo exekutierte Recht dieses Staates, sich nach innen und aussen der Macht zu bedienen, die er anzuwenden vermag. Bestätigt wird dies von den 68ern selbst, sind es doch die Fischer, Vollmer und Trittin, die die “Zivilität” des deutschen Staates repräsentieren und garantieren. Um den Preis freilich, die Revolten der 60er und 70er Jahre darauf zu reduzieren, die Verkrustungen des nachfaschistischen Adenauerstaates gesprengt und die Bundesrepublik unumkehrbar in die westliche “Wertegemeinschaft” geführt zu haben. Mag solche retrospektive Zurichtung für viele 68er in der lebensgeschichtlichen Selbstvergewisserung plausibel sein: die Bewegung der 70er Jahre geht darin nicht auf, und deshalb kreist die ganze Auseinandersetzung in Wirklichkeit um sie. Konsens aller Beteiligten ist, dass der “Extremismus” der 70er ein folgenschwerer Irrtum war, der sich nicht wiederholen dürfe. Erstens wegen seiner – rinks wie lechts – “totalitären” Grundhaltung, und zweitens wegen der Gewalt, die notwendig aus einer solchen Grundhaltung resultiere. Folglich besteht das eigentliche Ziel der Debatte nicht im sowieso erfolglosen “Fischer-bashing”, sondern im Ausschluss der ausserparlamentarischen Linken der 70er Jahre aus dem Bereich legitimer politischer Praxis.
Von der “Studentenrevolte” zur Systemopposition
Wenn es auch richtig ist, die Entstehung der Neuen Linken auf die 60er Jahre zu datieren, so darf sie doch nicht mit den DemonstrantInnen der “Studentenbewegung” verwechselt werden. Diese waren in ihrer Mehrzahl tatsächlich von den Motiven bestimmt, die Fischer und die Seinen heute als einzige gelten lassen wollen: das Erschrecken über die gar nicht klammheimlichen Kontinuitäten zwischen dem nationalsozialistischen und dem Adenauerstaat und die in dieser Tradition stehende Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition, die Empörung über den Vietnamkrieg. Hinzu trat eine auch in der proletarischen Jugend verbreitete subkulturelle Dissidenz, die sich nicht nur gegen die Elterngeneration, sondern auch gegen die Alltagskultur der “Fabrik- und Konsumgesellschaft” richtete. Deswegen verstanden sich die AktivistInnen der Revolte aber nicht als ;Linke‘. Im Gegenteil: deren linken Kerne, der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), Splittergruppen der Nachkriegslinken wie der Verband Unabhängiger Sozialisten (VUS) oder aber die illegale KPD waren 68 keinesfalls tonangebend; und selbst der SDS folgte nur bedingt der von Rudi Dutschke oder Hans-Jürgen Krahl vertretenen Linie.
Erst mit der brutalen Zerschlagung der Schahdemonstration, der Ermordung Benno Ohnesorgs, dem Attentat auf Rudi Dutschke und der im Wortsinn mörderischen Hetzkampagne der Springerpresse radikalisierte sich die Bewegung. Als der Höhepunkt des spontanen Protests überschritten war, setzte eine weiterführende, reflexive Dynamik ein, stellten sich qualitativ neue Fragen: Wenn wir mehr sind als eine studentische Opposition mit beschränkter demokratischer Zielsetzung, was ist dann eigentlich der Horizont unserer politischen Praxis? Und: wenn diese politische Praxis im Widerstand gegen die Notstandsgesetze und im Protest gegen den Vietnamkrieg nicht aufgeht, sondern die grundlegende Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse anstrebt, in welcher Geschichte, welcher Tradition stehen wir dann? Alle diese Fragen schliessen sich letztlich zu einer Frage zusammen: in welchem Verhältnis stehen wir – als “Studentenbewegung”, als Jugendrevolte – zur Geschichte der Arbeiterbewegung und der sozialistischen und kommunistischen Parteien, d.h. zur historischen Systemopposition, zur ‚Alten Linken‘?
Die dabei aufbrechenden Differenzen sprengten den SDS und warfen damit auch praktisch die bald vieldiskutierte “Organisationsfrage” auf. Beantwortet wurde sie in zwei alternativen Optionen, der “reformistischen” bzw. “revisionistischen”, und der “revolutionären” Option. Den ersten Weg schlugen die meisten der politisierten 68er ein, indem sie sich den Jungsozialisten bzw. der SPD oder der 1969 neugegründeten Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) anschlossen. Den zweiten Weg beschritten die maoistischen bzw. trotzkistischen “K-Gruppen”, die Gruppen der Stadtguerilla und die sog. “undogmatische Linke”, deren stärkste Strömung wiederum die “Spontaneisten” waren – kurz “Spontis” genannt.
Die Spontis verstanden sich als Erben der antiautoritären Oppositionen in der Linken und waren schon deshalb nie auf einen “Ansatz” zu vereinheitlichen. Deswegen besteht die erste Geschichtsklitterung der 68er-Debatte darin, der engeren Gruppe um Joseph Fischer und Daniel Cohn-Bendit den Alleinvertretungsanspruch für ‚die‘ Spontis zuzubilligen. De facto kam ihnen der nicht einmal im Rhein-Main-Gebiet zu, in dem sie zeitweilig ohne Zweifel hegemonialen Einfluss ausübten.
Was ist und zu welchem Zweck betreibt man “Spontaneismus”?
1970 erscheint im Rowohlt-Verlag unter dem Titel Schriften zur Theorie der Spontaneität eine Auswahl von Texten Rosa Luxemburgs aus den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts. Luxemburg versuchte damals, sowohl über die Strategie einer sozialdemokratischen Wahlpartei wie über die einer leninistischen Kaderpartei hinauszugelangen. Dabei setzte sie auf die spontane Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse – gegen die Sozialdemokraten, die die Spontaneität der Klassenkämpfe parlamentarisch repräsentieren (vertreten), und gegen die Parteikommunisten, die die Autonomie der revoltierenden Subjekte durch die “führende Rolle” ihrer Kader substituieren (ersetzen) wollten. Luxemburgs Doppelkritik an Sozialdemokratie und Parteikommunismus ist der gemeinsame Ausgangspunkt der spontaneistischen Gruppen, die nach ihrem zuerst im März 1973 erschienenen “Kampfblatt” Wir wollen alles auch “WWA-Gruppen” genannt wurden. Dazu gehören damals: die Proletarische Front – Gruppe westdeutscher Kommunisten (PF, Hamburg/Bremen), die Kölner Gruppe Arbeiterkampf, der Revolutionäre Kampf (RK, Frankfurt/Rüsselsheim) sowie die Münchner Arbeitersache. In der ersten Ausgabe der WWA wird der spontaneistische Eigensinn auf den Punkt gebracht: “Wenn Kämpfe entstehen, dann kommen alle ‚politischen‘ Gruppen und erklären den Leuten, was sie zu machen haben, was sie denken müssen: ‚Jetzt habt ihr nur eure beschränkten Interessen im Kopf. Damit ihr politisch handelt, müsst ihr euch in der Gewerkschaft organisieren oder eine Schulung machen oder überhaupt unserer Linie folgen.‘ Das wird nicht der Weg unserer Zeitung sein. Warum? Weil wir wissen, dass in jedem Kampf schon die radikalen Elemente, die eigentlich das ganze System in Frage stellen, liegen” (S. 15).
Wegen dieses Vertrauens in die Spontaneität der sozialen Kämpfe haben die Parteikommunisten den Spontis vorgeworfen, die Selbsttätigkeit der Klasse zu überschätzen, die Notwendigkeit sowohl einer organisierten Avantgarde wie einer formellen Repräsentation zu missachten und nicht zu begreifen, dass “Klassenbewusstsein” von aussen in die stets tagespolitisch bornierte Arbeiterklasse “hineingetragen” werden müsse. Tatsächlich aber haben die Spontis die Notwendigkeit einer organisierten Avantgarde nicht bestritten. Organisation und Avantgarde sollten aber die Spontaneität der sozialen Kämpfe weder repräsentieren noch substituieren, sondern freisetzen und nach ihrem Eigensinn artikulieren. Im zuerst 1970 veröffentlichten Grundsatzdokument des Revolutionären Kampf heisst es deshalb: “Die Frage nach der Bildung einer revolutionären, einer proletarischen Avantgarde in der BRD ist mit Recht Gegenstand der Organisationsdebatte der Linken. Jedoch entwickelt sich die Organisation der proletarischen Avantgarde (…) nach der objektiven und subjektiven Möglichkeit und der Notwendigkeit der Revolution, der Notwendigkeit der Führung in den Kämpfen und der Organisation der Massen. (…) Weil die proletarische Revolution nicht als Palastrevolte vollzogen werden kann, sondern die Massen selbst ‚das Richtige‘ wollen müssen, müssen die Massen lernen, das Richtige, Kommunistische, vom Falschen, Kapitalistischen, Revisionistischen zu unterscheiden. (…) Die Avantgarde ist nicht nur notwendig, sie geht auch aus den Kämpfen selbst hervor, sie ist in diesem Sinn Ausdruck von Klassenbewusstsein.” (RK, Untersuchung – Aktion – Organisation, Merve Verlag Berlin 1971, S. 8f.). Für die Spontis ist die Organisationsfrage also dann richtig gestellt, wenn sie als Frage nach der organisierten Selbsttätigkeit von revoltierenden Subjekten gestellt wird, die schon in ihren spontanen “Tageskämpfen” das kapitalistische System in Frage stellen. Darin folgen sie nicht nur Luxemburg und der weiteren links- bzw. rätekommunistischen Tradition der 20er Jahre, sondern auch der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule. Deren Einfluss führte im RK zu einer zweistufigen Untersuchung der gesellschaftlichen Verhältnisse: eine sog. “A-Gruppe” analysierte und diskutierte deren “objektive Seite” (Ökonomie, Arbeitsorganisation, Kapitalkonzentration etc.), während die “B-Gruppe” parallel die subjektive gesellschaftliche Erfahrung (Wohnen, Familie, Erziehung, Bildung, Medizin, Lebensführung) auszulegen suchte. Politisch bestimmend war darüber hinaus der Einfluss einer anderen, zeitgenössischen politischen Strömung: der des italienischen Operaismo, dem Wortsinn nach als ‚Arbeiterwissenschaft‘ zu übersetzen. Die Operaisten, organisiert in den Gruppen Potere Operaio (‚Arbeitermacht‘) und Lotta Continua (;Fortwährender Kampf‘), später in der Massenbewegung der Autonomia Operaia (‚Arbeiterautonomie‘), gingen Anfang der 60er Jahre aus einer antiautoritären Opposition im italienischen Parteikommunismus hervor. Die wesentliche methodische Voraussetzung ihrer Theorie und Praxis bestand darin, die Dynamik kapitalistischer Vergesellschaftung nicht aus vorgeblichen “Gesetzen” der Ökonomie und nicht aus der Politik der herrschenden Klassen, sondern aus den alltäglich, scheinbar vor-politischen Attacken eines permanenten Klassenkampfs verstehen zu wollen. Deshalb interessierten sie sich vordringlich für die subjektive “Zusammensetzung” der Arbeiterklasse, d.h. für die historischen Subjekte der wirklichen sozialen Kämpfe und nicht für ein konstruiertes weltrevolutionäres Subjekt.
Die WWA-Gruppen
Im September 1970 lässt sich rund ein Dutzend Aktivisten der “antiautoritären Fraktion” des Frankfurter SDS in den Rüsselsheimer Opelwerken einstellen. Sie übersiedeln in die mittelgroße Industriestadt und leben dort in Wohngemeinschaften, die bald zum informellen Treffpunkt rebellischer Jugendlicher werden. Unterstützt werden sie durch eine Gruppe der Lotta Continua, die italienische MigrantInnen organisiert. Die Arbeit im Betrieb wird auf Lehrlingswerkstätten, Schulen und eine Initiativgruppe Internationales Jugendzentrum ausgeweitet. Aus der systematischen Intervention der Betriebsprojektgruppe Frankfurt in Rüsselsheim entwickelt sich der Revolutionäre Kampf, der im Rhein-Main-Gebiet zur dominanten politischen Strömung der Linken wird. Ebenfalls 1970 entsteht in Hamburg und Bremen aus der von etwa 50 palästinensischen, griechischen, italienischen und deutschen StudentInnen bestehenden Hochschulgruppe Trikont die Proletarische Front. Die PF legt den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Mobilisierung und Agitation migrantischer ArbeiterInnen. Weil sie davon ausging, dass der sich entwickelnde Klassenkampf vom “multinationalen Massenarbeiter” – ein den Operaisten entlehnter Begriff – getragen werden würde, intervenierte sie ausserhalb der Betriebe vor allem in den Lagern und Wohnheimen, in denen sog. “Gastarbeiter” untergebracht waren. Ziel war der Aufbau einer “nichtleninistischen kommunistischen Partei”, die sich – quer zur Trennung von Partei und Gewerkschaft – aus einer basisdemokratischen “Parallelstruktur” entwickeln sollte: “Die Grundeinheiten der PF sind Zellen bestehend aus höchstens fünf Leuten. Jedes Vollmitglied ist Zellenmitglied und zugleich Mitglied in einer proletarischen Basisorganisation (Betrieb, Stadtteil, Hochschul- bzw. Jugendgruppe). Die Zellen wählen Delegierte zu einer vierzehntägigen Generalversammlung, aus der sich der Parteitag entwickelt” (Frombeloff, …und es begann die Zeit der Autonomie, Hamburg 1993, S. 13).
Obwohl es weder zu einem “Parteitag” der PF noch zu einem des RK oder irgendeiner der anderen WWA-Gruppen kam, kann ihre politische Bedeutung daran abgelesen werden, dass sich am “Plenum” des RK im legendären Hörsaal VI der Frankfurter Uni regelmäßig mehrere hundert, bei besonderen Anlässen sogar bis zu 3000 (!) Leute beteiligten. Leute, die eigenständig in den verschiedensten Projekten aktiv waren und sich gemeinsam auf ‚den‘ RK bezogen: eine Organisation, die kein formelles Funktionariat, kein ZK besaß, auch wenn sie informell unter der Hegemonie der Gruppe um Fischer und Cohn-Bendit stand, die allerdings zu keiner Zeit unumstritten war. Die autonomen lokalen Spontiorganisationen verbanden sich über die bundesweite Agitationszeitung Wir wollen alles und über die Theoriezeitschrift Autonomie. Ihren historischen Höhepunkt fanden sie in den wilden Streiks des Jahres 1973, vor allem im Streik bei Ford in Köln, und in den “Häuserkämpfen” derselben Zeit. Streikbewegung und Häuserkampf bestätigten die strategischen Analysen des Spontaneismus, weil sie sich an der Alltagserfahrung entzündeten und in der Radikalität ihrer Forderungen – kostenloser Wohnraum, Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr und, vor allem, “mehr Lohn – weniger Arbeit!” – tendenziell systemsprengenden Charakters waren. Dennoch zerbrachen die WWA-Gruppen gerade in dem Augenblick, in dem sich ihre Analysen zu erfüllen schienen. Während die PF aus der Niederlage der wilden Streiks und der Hausbesetzungen auf die Notwendigkeit schloss, die eigene Organisation zu festigen, um in künftige Kämpfe besser eingreifen zu können, sah man sich im RK, aber auch in der Münchner Arbeitersache einem Scheitern konfrontiert, das einen Wechsel der politischen Strategie erforderte. Im Rückblick erst zeigen sich die Lücken beider Analysen: Während die PF im Festhalten an der “sozialrevolutionären Klassenpolitik” übersah, dass ein historischer Zyklus sozialer Kämpfe unwiderruflich zuendeging, fiel die “Selbstkritik” der Gruppe um Cohn-Bendit und Fischer so “radikal” aus, dass sie de facto auf den Friedensschluss mit den herrschenden Verhältnissen hinauslief. Spätestens mit dem Übergang von der Wir wollen alles zum Stadtmagazin Pflasterstrand (1974), das heute unter anderem Namen, aber folgerichtig zum Anzeigenblatt mit Gourmet- und Theatertips verkommen ist, differenzierten sich die Spontis so weit auseinander, dass die Altkader der Betriebsprojektgruppe bestenfalls deren ‚rechtsopportunistischen‘ Flügel repräsentierten.
Jenseits der Klassenpolitik
Die Auflösung der WWA-Gruppen war nicht das Ende der Spontis. Vielmehr breiteten sich ihr Aktionsradius und ihre Ideen auf dem Weg von der antiautoritären Avantgardeorganisation zur politisch-subkulturellen “Szene” in diffuser Weise aus und gewannen dabei weiter an Bedeutung. In Frankfurt zeigte sich dies beispielsweise in der Initiative der “RK-Frauengruppe”, der es 1972 gelang, durch offene Thematisierung des patriarchalen Politikstils des maoistischen Studentenbundes dessen Hegemonie in der Hochschulpolitik zu brechen. Aus autonomen Gruppen aller Fachbereiche entstand darauf hin die Sozialistische Hochschulinitiative (SHI), die bis in die 80er Jahre hinein die Mehrheitsfraktion des Studentenparlaments stellte und zur eigenständigen politischen Kraft wurde. Dasselbe geschah im Häuserkampf, der zwar vom RK angestossen, dann jedoch autonom durch den Rat der besetzten Häuser geführt wurde. Andere Teile der Spontiszene organisierten sich in Alternativbetrieben wie der Arbeitslosen-Selbsthilfe (ASH) und verbanden die politische Aktion mit wenigstens anfangs subversiven kollektiven Überlebensstrategien. Keimzellen der Szene waren die sich überall ausbreitenden Wohngemeinschaften, Kinderläden, Kneipen und sonstige Alternativinstitutionen wie Kinos und Theater. Darin zeigte sich die “Neuzusammensetzung” der Spontiszene, die im Lauf der 70er Jahre von einer auf Betriebsarbeit gestützten “Klassenpolitik” zur Teilnahme an den ‚Neuen Sozialen Bewegungen‘ führte. Die Spontis verstanden sich jetzt als deren radikale Strömung und radikalisierten dabei auch ihr eigenes Konzept einer ‚Politik in Erster Person‘.
Der diffusen Ausbreitung der spontaneistischen Subversion, aber auch den Aktivitäten der anderen linksradikalen Strömungen begegnete die sozialliberal verwaltete Staatsmacht mit harter Repression. Dabei kann der nachhaltige Einfluss der Berufsverbote auf die spätere Entwicklung einer ganzen politischen Generation gar nicht unterschätzt werden: Wer damals zwischen zwanzig und dreissig und in der radikalen Linken aktiv war, sah sich einer ernsten existenziellen Gefährdung ausgesetzt. Dramatisiert wurde diese Form systematischer Repression durch die offene Gewalt der Polizei. Um erneut ein Frankfurter Beispiel zu bemühen, dass jedoch auch für Erfahrungen anderer Städte steht, sei an die Räumung des Häuserblocks Schumannstrasse/Bockenheimer Landstrasse am 21. 2. 1974 erinnert. Die Polizei reisst die BewohnerInnen zum wiederholten Mal durch eine Scheinräumung aus dem Schlaf. Gegen halb drei Uhr morgens ziehen die Einsatzwagen scheinbar erfolglos ab, um zwei Stunden später mit Wasserwerfern, Materialfahrzeugen mit Schweissgeräten, Motorsägen und Kompressoren sowie Spezialwagen mit Flutlichtmasten wiederzukehren. Die Häuser werden von helm- und schilderbewehrten Mannschaften vor herbeieilenden UnterstützerInnen abgesperrt, andere Beamte stürmen mit Leitern und Motorsägen die verbarrikadierten Wohnungen, zerschlagen das Mobiliar und nehmen die BesetzerInnen fest. Am nächsten Morgen sind die Häuser in Trümmer gelegt. Die Stimmung der Szene ist so gedrückt, dass sich 6000 DemonstrantInnen zwei Tage später fast lautlos durch die Strassen bewegen. Beim Vorbeizug am Trümmergrundstück kommt es zu vereinzelten Steinwürfen, die bereitstehende Polizei antwortet mit bis dahin beispielloser Brutalität. Besonders auffällig wird ein in Zivilkleidung getarntes Einsatzkommando, dessen Beamte dem 25jährigen Günther Sare, der elf Jahre später von einem Wasserwerfer überrollt und getötet wird, gezielt das Schienbein zerschmettern. Am Nachmittag werden bereits 200 verletzte DemonstrantInnen, 77 verletzte Polizisten und 192 Verhaftungen gemeldet. Mehrere Stunden später kreist die Polizei mit Hunderten von Mannschaften die Uni ein, Beamte durchkämmen mit gezückter Schusswaffe das gewaltsam gestürmte Studentenhaus. Alle BewohnerInnen – über 350 Leute – werden in die restlos überfüllten Zellen des Präsidiums verschleppt und brutal schikaniert. Ein 16jähriger Schüler wird gezwungen, sein eigenes Blut aufzulecken. Zu dieser Zeit finden sich noch Prominente zu einem “Folter-Tribunal” zusammen und machen wenige Tage später die unglaublichen Vorfälle öffentlich (vgl. W. Kraushaar, Frankfurter Schule und Studentenbewegung, Hamburg 1998, Bd. 1, S. 537ff.). Was hier seinen bis dahin erschreckendsten Ausdruck fand, kulminiert schliesslich im “Deutschen Herbst” des Jahres 1977 über einen Prozess hinweg, in dem staatliche Repression einerseits und die zunehmend militärisch verhärtete Aktivität der Stadtguerilla-Gruppen andererseits eine Situation provozierten, in der die formelle Demokratie unter ein autoritäres Notstandsregime geriet. In der Folge einer von den staatstragenden Parteien initiierten und den Massenmedien unisono umgesetzten Kampagne schottete sich die Mehrheitsgesellschaft gegen die gesamte Linke ab – gleichgültig, wie sie zur Militanz stand. Die Position der meisten Spontis artikulierte der RK schon 1972 in der StudentInnenzeitung Diskus (Nr. 3/4, S. 17). Darin werden die Kriminalisierung der Stadtguerilla und die geforderte Entsolidarisierung zurückgewiesen, zugleich aber eine deutliche Kritik an der Roten Armee-Fraktion (RAF) entwickelt: “Die Politik der Bomben der RAF klärt nicht die Frage nach einer langfristigen revolutionären Strategie, weil sie nicht fragt, wie die Massen lernen, sich selbst zu wehren. Nicht die Bomben bringen das kapitalistische System in Gefahr, es ist erst dann in Gefahr, wenn die Massen es nicht mehr wollen und eine praktische Alternative sehen, wie sie ihr Leben verändern können. Bomben ändern nichts am Elend des Kapitalismus, an der Isolation in den modernen Wohnsilos, an der Spaltung am Arbeitsplatz. (…) Wir haben die bürgerliche Gewalt nicht erfunden, sondern vorgefunden; die Gewalt, die wir dagegen anwenden, muss aber verbunden sein mit positiven Momenten: der Erfahrung der Solidarität, der Entwicklung neuer Verkehrsformen.”
Dennoch haben auch die Spontis den Deutschen Herbst nicht überstanden. Viele resignierten, wieder andere engagierten sich in der Frauen-, der Ökologie-, der Friedensbewegung, nicht wenige schlossen sich der 1980 gegründeten Grünen Partei an. Eine jüngere Generation übernimmt eine Reihe spontaneistischer Ideen und einiges vom politischen Stil der Spontis in der Bewegung der Autonomen. Einzelne machen im Staatsapparat Karriere und mühen sich heute damit ab, sich pflichtschuldigst für ihre Vergangenheit zu entschuldigen. Als die Pariser Mai-Bewegung des Jahres 1968, vorweggenommene Utopie auch und gerade der Spontis, verebbt war, fand sich vielerorts ein anonymes, handgeschriebenes Graffiti, in dem es hieß: “Lauf schneller, Genosse, die Alte Welt ist hinter dir her!”