Wozu und wie Kritik geübt wird.
Diskurs essen Linke auf: Verteidigung Foucaults anlässlich einer bitterbösen Polemik gegen die „Heideggerisierung der Linken“. Vgl. weiter oben die Texte „Lektion des Leninismus“ und „Zirkel des Subjekts“, in denen ich Badiou vor ähnlichen Verleumdungen in Schutz nehme. Erschienen in jungle world am 12.03. 1998. (Kurz)
Was das Freiburger Traktat wider die „Heideggerisierung der Linken“ so ärgerlich macht, ist weniger das Unverständnis der verhandelten Sache selbst. Es ist auch nicht die Perfidie, mit der eine Strömung der Linken (wenn davon überhaupt die Rede sein kann) zusammen mit einer Reihe französischer Autoren einer „Philosophie des Nazismus“ zugeschlagen wird. Genauer und wörtlich: zu „postmodernen Parteigängern“ nicht „bloß“ der Philosophie, sondern des Nazismus selbst erklärt werden. Es ist vielmehr der mit dieser Verleumdung verbundene (theorie-)politische Einsatz. Der kenntlich wird in dem, was die AutorInnen sich selbst zurechnen.
Dies ist nicht mehr und nicht weniger als der volle Begriff des (gesellschaftlichen) Wesens, das sich in der Vielheit der Ereignisse zwar nicht unmittelbar zur Erscheinung bringen, doch ihr insgesamt – wieder wörtlich – als „Grund“ und „Basis“ dienen soll.
Dieses Wesen wird unter Berufung auf Marx, Adorno und Hans-Georg Backhaus‘ „Dialektik der Wertform“ im Kapital identifiziert. Nicht in dem Sinn, daß das Kapital ein außer der Welt hockendes Metaphysicum wäre, nein, die AutorInnen sind kritisch genug, solche „Okkultwissenschaft“ dem Marxismus „der Kautsky und Luxemburg, der Lenin, Trotzki und Stalin“ vorzubehalten. Sie gebrauchen den Wesensbegriff „nur“, soweit er die „dynamische Einheit von Abstraktion und Konkretion“ und insofern die reale, wenn auch nicht-positive Vermittlung von Wesen und Erscheinung bezeichnen soll.
Leider reicht diese dialektische Finesse nicht aus, sich von dem begriffsherrschaftlichen Absolutismus zu befreien, der Wesenserkenntnis immer begleitet. Dies zeigt sich in einer Nebenbemerkung, in der sich die AutorInnen – eine geradezu Heideggersche Wendung – philosophiehistorisch auf Platon berufen. Dessen Polemik gegen das skeptische Treiben der Sophisten sie ausdrücklich zum Vorbild ihrer Polemik gegen die „heideggerisierte Linke“ erklären. Weshalb sie – durchaus konsequent und nicht ganz zu Unrecht – „Foucault u.a.“ kurzerhand als Sophisten bezeichnen.
Dem entspricht die Unbedingtheit der Verwerfung und die Arglist der Verleumdung: Wesenserkenntnis ist per definitionem mit einem Alleinvertretungsanspruch auf Wahrheit ausgestattet und kann sich – wieder per definitionem – niemals als ein Vokabular unter anderen begreifen. Sie kennt im Dialog nur die Unterwerfung des Gegenüber unter die eigene Wahrheit. Oder seinen/ihren Ausschluß aus der Diskussion. Wobei der Vorwurf des Sophismus das Kriterium bereitstellt, nach dem die Inhaber des Wesensbegriffs selektieren, wer zu ihnen gehört und wer nicht. Denn Sophistik stellt geradezu das Andere des Denkens dar, ist (im Freiburger O-Ton) ein Versuch, „das Denken mit dem Denken zu beseitigen“. Sie ist dies, weil sie von der im Begriff nicht stillzustellenden Pluralität der Vokabulare weiß. Und dieses Wissen nicht nur positiv behauptet, sondern dialektisch einsetzt. Nicht in einer Dialektik des Begriffs, sondern in einer Dialektik des Diskurses. Im einfachen Sinn des Worts, nach dem einen Diskurs hält, wer zu anderen spricht.
Deshalb ist der Ausschluß der Sophisten aus dem Feld des Begriffs stets mit Argumenten betrieben worden, die die sophistische Subversion der bloßen Rhetorik überführen sollten. Ein Verfahren, das auch die FreiburgerInnen einsetzen, wenn sie im Kern des Foucaultschen Diskurses „einen ziemlich billigen rhetorischen Kniff“ ausmachen. Der darin bestehen soll, der Wahrheit des Begriffs gegenüber den Nachweis zu führen, daß die sie begründenden Urteile nur vermittels sprachlicher Zeichen artikuliert werden können. Diese aber sollen nominalistisch als „bloße“ Zeichen gedacht werden. Die nur auf andere Zeichen, nicht aber auf ein Anderes außerhalb des relativistischen Spiels der Zeichen bezogen sein sollen. Sophistik, Nominalismus, Relativismus. Was den Horror der Metaphysik ausmacht.
Daß die sog. Dekonstruktion nichts anderes als die „neueste Darreichungsform“ der teuflischen Dreiheit von Sophistik, Nominalismus und Relativismus ist, davon ist man unter den Erstgeborenen des Begriffs weithin überzeugt. Dazu hat man die dekonstruktivistische Häresie auf ein paar griffige Thesen reduziert: „alles ist Diskurs“ (die Substanz der Zeichen, aus der jede Tatsache zusammengesetzt ist), „alles ist Macht“ (die transzendentale Funktion, die den Diskurs integriert), „es gibt kein Subjekt“ (folglich werde ich mich nie mit mir zusammenfinden, um dem Diskurs und der Macht entgegenzutreten zu können), „nichts ist real“ (alles ist bloß ein Zeichen für andere Zeichen und darum halb so schlimm, ein Spiel eben).
Zum Ausschluß aus dem Feld des Begriffs braucht’s dann nur noch eine eingängige Formel. Die liefert den FreiburgerInnen Foucault frei Haus: Hat er seine Skepsis doch selbst als „glücklichen Positivismus“ bezeichnet. Wobei den AutorInnen schnuppe ist, daß der französische Gebrauch dieses Begriffs in die Traditionslinien nicht einzufügen ist, die in Deutschland der „Positivismus-Streit“ vorgezeichnet hat.
Während hierzulande unter Positivismus eine Doktrin verstanden wird, die nur das als wahr und wirklich gelten läßt, was „positiv“ gegeben ist (die empirisch isolierte Einzeltatsache), ist Positivismus in Frankreich, wie Paul Veyne anmerkt, „nur ein relatives und negatives Programm: Man ist stets der Positivist desjenigen, dessen Rationalisierungen man verneint; nachdem aufgeräumt wurde mit den metaphysischen Fiktionen, gilt es nun, ein positives Wissen zu rekonstruieren“ („Eisberg der Geschichte“, Berlin 1981).
Daß dies ein Unterschied ums Ganze ist, ist den AutorInnen entgangen. Mußte ihnen entgehen. Denn sonst hätten sie sich ihre Pointe vermasselt. Die darauf hinausläuft, Foucault u.a. der Unfähigkeit zu überführen, „die Existenz nicht empirisch erscheinender, allgemeiner Verhältnisse“ zu erkennen. Weil sie deren Erkenntnis nur einem Vokabular vorbehalten, dem eigenen. Exklusiv. Übergangen werden muß dann natürlich, daß die Positivitäten, von denen Foucaults Untersuchungen handeln, keine isolierten Einzeltatsachen sind, sondern stets aus „Dispositiven“ heraus begegnen. Die ihrerseits, der Name sagt es schon, nicht positiv gegeben sind, weil sie die Bedingungen des Gegebenseins von Positivitäten umfassen.
Übergangen werden muß dann auch, daß Foucault u.a. Ideologien (das Wort hier unspezifisch verwendet) keineswegs als „subjektive Hypostasierungen diskursiv erzeugter Verallgemeinerungen“ ansehen. Sie tun dies so wenig, daß sie gerade deshalb auf den Begriff der Ideologie verzichten. Weil er nicht zureicht, um die historische Wirklichkeit der jeweils gemeinten Konstrukte zu fassen. So vermerkt Foucault zur flüchtigsten und vielleicht am wenigsten „positiven“ aller metaphysischen Konstruktionen, der der Seele: „Man sage nicht, die Seele sei eine Illusion oder ein ideologischer Begriff. Sie existiert, sie hat eine Wirklichkeit, sie wird ständig produziert – um den Körper, am Körper, im Körper – durch Machtausübung an jenen, die man bestraft, (…) die man überwacht, dressiert und korrigiert, an den Wahnsinnigen, den Kindern, den Schülern, den Kolonisierten, an denen, die man an einen Produktionsapparat bindet und ein Leben lang kontrolliert. (…) Diese wirkliche und unkörperliche Seele ist keine Substanz; sie ist das Element, in welchem sich die Wirkungen einer bestimmten Macht und der Gegenstandsbezug eines Wissens miteinander verschränken; sie ist das Zahnradgetriebe mittels dessen die Machtbeziehungen ein Wissen ermöglichen und das Wissen die Machtwirkungen erneuert und verstärkt.“ („Überwachen und Strafen“, Frankfurt 1976) Was man in Freiburg überlesen hat.
Bleibt der „Fall Heidegger.“ Auf den sich Foucault, Derrida und Lyotard – die übrigens sonst nicht allzuviel miteinander teilen – tatsächlich ausgedehnt berufen haben. Der den FreiburgerInnen zufolge „die Ausrottung des Denkens durch das Denken“ bezweckt hat, Verrufenster aller Sophisten, Nominalisten und Relativisten. Dessen Metaphysikkritik auf eine „Unmittelbarkeit“ gezielt habe, „die so total sein sollte, daß noch die Erinnerung an Vermittlung verging“. Ach ja.
Was Foucault u.a. an Heidegger interessiert hat, war gerade nicht jene Ausstreichung der Differenz von Allgemeinem und Besonderem, von Wesen und Erscheinung, von Sein und Seiendem, die die FreiburgerInnen ihm zuschreiben. Sondern umgekehrt die Weise, in der Heidegger diese Differenz de-struiert, abbaut (was eben nicht heißt: leugnet). Indem er zeigt, wie sie in der Geschichte der europäischen Metaphysik stets in einem „Grund“ und einer „Basis“ zentriert wird: Idee, Wesen, Gott, Subjekt. Womit das, was zu einer bestimmten Zeit als wahr galt, wirklich Abbild seines idealen Urbilds, Erscheinung des Wesens, Kreatur des Schöpfers, Setzung des Subjekts werden konnte. Was sowenig wie die Implementierung der Seele in den Körper „bloß“ ideologisch oder gar illusionär war. Sondern logisches Modell der Herrschaftstechnologien, die dispositiv erzeugen, was positiv der Fall ist.
Daß die von Foucault u.a. entfaltete Herrschaftskritik partiell über eine bestimmte Lektüre Heideggers (und Nietzsches) entfaltet wurde, stellt angesichts der ideologischen Projekte dieser Autoren zweifellos ein Paradox dar. Unmöglich finden kann dies nur, wer glaubt, daß ein Diskurs in dem ideologischen Projekt des Autors aufgeht, der ihn mit seinem Namen signiert.
Weil die FreiburgerInnen Foucault und Heidegger im generalisierten Nominalismus-Verdikt schon abgeurteilt haben, gelangen sie erst gar nicht zur Kritik des Zuges der Heideggerschen Philosophie, der den faschistischen Gebrauch des Nominalismus möglich werden ließ, den ihr Autor (zeitweilig) betrieb. Dieser aber zeigt sich (nicht allein, doch vor allem anderen) im zutiefst autoritären Gestus der Heideggerschen Sprache. Die in der Unbedingtheit des Vortrags die libertäre Tendenz des Ausgesprochenen ständig zurücknimmt und konterkariert. Weil es auch ihm – paradox genug – auf Wesenserkenntnis ankommt. Die natürlich neben sich keine andere Erkenntnis als Erkenntnis gelten lassen kann. Sogar dann noch, wenn dieser Herrschaftsanspruch im Ausgesprochenen bestritten wird. Eine Anmaßung des Begriffs, gegen die nur eines hilft: Sophistik.