Das Subjekt der Revolten

Anmerkungen zu Michel Foucaults Ästhetik der Existenz

Der Text erschien in der Ausgabe 4/1995 der Zeitschrift Die Beute – Politik und Verbrechen und stellt Foucaults „Ästhetik der Existenz“ in die Geschichte des Mai 68 und seiner „Politiken erster Person.“ Solche Politiken beantworten die Frage nach dem Subjekt der Emanzipation im Verweis nicht auf ein gegebenes Kollektiv, sondern je auf uns selbst. (Länger)

1.

Nicht wenige Leser Michel Foucaults waren durch die letzten beiden Bände seiner Geschichte der sexuellen Praxen und mehr noch die folgenden kleinen Schriften zur Ethik und Politik nachhaltig irritiert.[i] War Foucault bis dahin wenigstens insoweit zur ‘Postmoderne’ zu zählen, als es auch ihm um die allseits angesagte Dekonstruktion des Subjekts zu gehen schien, so hieß es nun plötzlich: “Nicht die Macht, sondern das Subjekt ist das allgemeine Thema meiner Forschung”[ii]. Irritierend war dabei weniger der Rückgang aufs Subjekt als vielmehr die affirmative Weise, in der er vorgenommen wurde. Immerhin hatte die foucaultsche Genealogie sich bis dahin als historische Analytik der im Letzten nur durch die Äußerlichkeit des Zufalls bestimmten Prozesse verstanden, in denen Strategien der gesellschaftlichen Macht sich anonym mit Diskursen des Wissens zur subjektlosen Ordnung der Dinge verschränken. Die Genealogie hatte deshalb bisher vom Subjekt nur gesprochen, indem sie akribisch nachwies, daß “es” nichts als das heteronome Resultat einer in den unscheinbaren Praktiken des Alltagslebens ausgeübten Mikrophysik der Macht war. Durch ein labyrinthisch verzweigtes Wissen um das Subjekt geführt und gleichzeitig unaufhörlich ein solches Wissen produzierend, zielen das Kalkül und die Technologien dieser Macht systematisch auf die Disziplinierung der einzelnen Individuen und zugleich auf die Regulierung ganzer Bevölkerungen. Dabei organisiert die Macht in einem komplizierten Widerspiel von Vereinzelung und Vergesellschaftung “die Abstimmung der Menschenakkumulation mit der Kapitalakkumulation”, die die historische Voraussetzung der gegenwärtigen Ordnung der Dinge bildet: “Ein ungeheures Werk, zu dem das Abendland Generationen gebeugt hat, während andere Formen von Arbeit die Akkumulation des Kapitals bewerkstelligten: die Subjektivierung der Menschen, d.h. ihre Konstituierung als Untertanen/Subjekte”[iii]. Im zweiten und dritten Band von ‘Sexualität und Wahrheit’ führt Foucault dann aber in radikaler Kehrtwendung ein Subjekt ein, das sich autonom als das Subjekt seines Wissens, seiner Macht und – seiner Moralität konstituiert; die Akribie der Beschreibung dient nun der nachdrücklichen Besetzung der bisher so gar nicht vorgesehenen Subjektposition. Der Umkehr in der Sache entspricht in methodischer Hinsicht die Rückkehr zum Aktiv der Ersten Person in den Leitfragen der genealogischen Forschung: “Wie haben wir uns als Subjekte unseres eigenen Wissens konstituiert ? Wie haben wir uns als Subjekte konstituiert, die Machtbeziehungen ausüben oder sich ihnen unterwerfen ? Wie haben wir uns als moralische Subjekte unserer Handlungen konstituiert ?”[iv]. Blickt man von diesem unerwarteten Ende (auf den Anfang der Genealogie zurück) auf die einzelnen Arbeiten Foucaults und auf deren Anfang zurück, so zeigt sich allerdings, daß sich (die Reihe/die Folge der einzelnen Untersuchungen/Einzeluntersuchungen) deren Reihe mit diesem Ende zum Kreisgang schließt. Das Subjekt, seine mögliche Autonomie und mit ihr die Macht – die Macht, die auf es einwirkt und die es selbst auf sich und andere ausübt – sind Thema schon der ersten Schriften aus den Fünfziger Jahren. Wie viele andere TheoretikerInnen einer undogmatischen Linken versucht Foucault damals, Anschlüsse und Verbindungen zu schaffen zwischen einer marxistisch geführten kritischen Theorie der Gesellschaft und einem existentialistisch inspirierten (einer existentialistisch inspirierten Ethik der subjektiven Verwirklichung) Vorgriff auf die Authentizität subjektiver Verwirklichung:[v] Der Existentialanalytik entlehnt Foucault die normative Unterstellung selbstbestimmter individueller (Lebens-)Seinsentwürfe, dem Marxismus die Erklärung des Faktums ihrer pathogenen Verzerrung in den gegebenen sozialen Verhältnissen. Die historische Bedeutung (der gesuchten/versuchten Verschmelzung/Verbindung/Zusammenführung von Marxismus und Existentialismus) dieser Konjunktion besteht darin, daß sie im Zuge ihrer weiteren Streuung und Verzweigung das diskursive Archiv ausbildet, auf dem das ethisch-politische Selbstverständnis und mithin die Ideologie der Revolten des Mai 1968 aufruhen wird. Die Erfahrung der (diesem Versuch) ihr einbeschriebenen theoretischen und praktischen Aporien aber ist es, die den Fortgang der Forschungen Foucaults motiviert. Sie begründet die methodische und thematische Reduktion von Subjektivität auf das vor-subjektive Fungieren (Prozessieren) eines machtdurchsetzten anonymen ‘Lebens’ und zugleich die polemische Wendung dieses Antisubjektivismus besonders gegen Sartre und Marcuse, die ihrerseits zu den maßgeblichen Theoretikern der Mai-Revolten gehören werden.[vi] Hält man nun aber fest, daß Foucault anfänglich deren Ausgangspositionen teilt und im Mai 68 trotz der theoretischen Polemik eng mit Sartre kooperiert, und hält man zugleich fest, daß Foucault in den Achtziger Jahren in allerdings entscheidend (veränderter) modifizierter Form auf diese Ausgangspositionen zurückkehrt, so wird sichtbar, daß die Genealogie sich dieser Konjunktion eben nicht von außen entgegensetzt. Sie kann statt dessen als deren (ohne ‘deren’: von innen her)immanent ansetzende Kritik und damit als deren (ohne ‘deren’) Fortschreibung (der Konjunktion von Marxismus und Existentialismus) gelesen werden. Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist dabei die Einsicht, das (in dieser Konjunktion) sowohl im Marxismus wie im Existentialismus das Paradigma (der Grundansatz) bürgerlicher Subjekt- und Geschichtsphilosophie untergründig fortwirkt: “Die kontinuierliche Geschichte ist das unerläßliche Korrelat für die Stifterfunktion des Subjekts: die Garantie, daß alles, was ihm entgangen ist, ihm wiedergegeben werden kann, die Gewißheit, daß die Zeit nichts auflösen kann, ohne es in einer erneut rekomponierten Einheit wiederherzustellen; das Versprechen, daß all diese in der Ferne durch den Unterschied aufrechterhaltenen Dinge eines Tages in der Form des historischen Bewußtseins vom Subjekt erneut angeeignet werden können und dieses dort seine Herrschaft errichten und darin das finden kann, was man durchaus seine Bleibe nennen könnte”[vii]. Weil diese Theoriekonstellation(-konjunktion) nun aber mittelbar in den 68er Revolten zum Austrag kommt, kann ihre genealogische Kritik (und ‘Revision’) in ganz analoger Weise ebenfalls auf diese Revolten bezogen werden. Sie wäre dann in ihrer eigenen inneren Entwicklung als Resultat dieser Revolten – und als Reflexion auf ihr Scheitern zu verstehen. Ansatz der Kritik ist dabei das dem qualitativ Neuen im Aufbruch des Mai gegenläufige Wiederauftauchen überkommener Praxisformen der klassischen Linken im Abschwung der Bewegung: Die Dekonstruktion der “Stifterfunktion des Subjekts” und seiner kontinuierlichen Geschichte findet dementsprechend ihre praktische Konsequenz in der Kritik der damals noch bis in die radikalen Kerne verbreiteten Anrufung eines geschichtsphilosophisch idealisierten Proletariats. Insofern Foucault selbst die ethisch-politische Bedeutung der Genealogie im Entwurf einer zuerst und zuletzt den einzelnen Subjekten überlassenen Ästhetik der Existenz bündelt, kann die mit/in ihr gesuchte individuelle und soziale Praxis als Erneuerung der Praxis erprobt werden, die im Mai den Beginn ihrer Epoche erfahren hat: In den experimentellen Lebenskünsten der subjektiven Autonomie ist dann die ‘Politik in Erster Person’ wiederaufzunehmen und zu vertiefen, deren Ausgangspunkt damals wie heute in der Subversion des ideologischen Unterschieds besteht, mit dem die Sozialität des Politischen von der Individualität des Privaten getrennt werden soll.

2.

Den Begriff und Entwurf seiner Ästhetik der Existenz gewinnt Foucault, nachdem er die genealogische Dekonstruktion des Verhältnisses von Sexualität und Wahrheit von der Moderne über das Christentum auf die Antike zurückverlegt. Hatte die Genealogie ihren jeweiligen Gegenstand bis dahin je nach der Form bestimmt, die ihm in einer gegebenen Verbindung sozialer Machtverhältnisse mit besonderen (Ordnungen) Konstellationen diskursiven Wissens verliehen wurde, so entdeckt Foucault in den sexuellen Praxen der Antike und den auf sie gerichteten (diskursiven) “Wahrheitsspielen”[viii] eine bisher übersprungene dritte Dimension. Zur Analytik der wesentlich anonymen Machtdispositive und Wissensarchive (Macht- und Wissensverhältnisse) tritt nun als eigenständige Achse die Dimension der reflexiven Selbsterfahrung der Subjekte, die sich in diesen (Verhältnissen) Dispositiven und Archiven nach den ihnen dort jeweils gegebenen Möglichkeiten auf ihr Leben beziehen. Foucault bestimmt diese dritte Achse der Genealogie im strikt formalen Sinn des Wortes als diejenige der Ethik und bezieht nun in aufeinander jeweils irreduzibler Weise die Praxen der Macht und des Wissens auf solche des Verhaltens der Subjekte zu sich selbst und den anderen. Damit gelingt ihm zunächst gleichsam aus dem Stand eine handlungstheoretische Erweiterung seines (bisher systemtheoretisch gebildeten) Machtbegriffs. War Macht bisher der Name, mit dem komplexe Verhältnisse vor- bzw. übersubjektiver Strategien der Lenkung des individuellen und sozialen Verhaltens benannt wurden, so wird Macht nun auch und darüber hinaus zum Namen für den in den ethischen Praxen unternommenen Versuch von Subjekten, ihr Verhalten und das Verhalten anderer Subjekte eigensinnig und selbstbestimmt zu beeinflußen. Die damit erst gegebene Möglichkeit, in der reflexiven Wendung (gegebener) (gesellschaftlicher Ordnungen) Potentiale der Macht und des Wissens endliche Räume der Freiheit zu erschließen, begründet die zuvor so nicht gegebene Subjektposition, von der aus die Existenzästhetik entworfen wird. Foucault analysiert die nicht zufällig vor allem in der Geschichte der sexuellen Verhaltensweisen (zu entziffernde) dekonstruierte Geschichte der Ethik nach vier Formalkategorien. Danach ist zu unterscheiden zwischen der “ethischen Substanz” als dem Teil des subjektiven Verhaltens, der in ausgezeichneter Weise den Gegenstand der ethischen Zuwendung darstellt (die “Lüste” der Antike, das “Fleisch” des Christentums, die “Sexualität” der Moderne), der “Weise der ethischen Subjektivation” als der Form, in der die Individuen sich nach ihrer Ethik richten (freiwillige Tugend, Gehorsam gegen das Gesetz, Anerkennung der Norm), der “ethischen Arbeit” als der spezifischen Technik des Sich-zu-sich-Verhaltens (affirmative oder negative Asketik der jeweiligen Lebensführung), und schließlich der “ethischen Teleologie”, in der der ideale Seins- und Lebensentwurf bestimmt wird, auf den die jeweilige Ethik ausgeht. Im Vergleich der Problematisierungen des sexuellen Verhaltens in der Antike, im Christentum und in der Moderne zeigen sich dann unterhalb der über die Jahrhunderte hinweg nur geringfügig modifizierten moralischen Codes bedeutsame Differenzen und Diskontinuitäten. Zunächst wird die die Antike bestimmende Ethik einer zugunsten der Selbstbestimmung (Souveränität) des männlich-aristokratischen Individuums ausgeübten freiwilligen Askese im Umgang mit grundsätzlich bejahten und zugleich stets bedrohlichen “Lüsten” unterwandert durch die dem gottgegebenen allgemeinen Gesetz folgende Ethik der Abtötung des “Fleisches” zugunsten spiritueller Erlösung. Die christliche Ethik wird dann ihrerseits in der Moderne subvertiert, in der die vielfältigen und bis dahin noch nicht einmal dem Begriff nach vereinheitlichten sexuellen Praxen als Symptome einer biologisch substantialisierten “Sexualität” aufgefaßt werden, an deren “Normalität” sich die Individuen dann ethisch anzupassen haben.

Foucault läßt schon im Tonfall der Darstellung keinen Zweifel daran, daß er das immoralistische Selbstbestimmungsideal der Antike der christlichen Unterwerfung unter das gottgegebene allgemeine Gesetz und der modernen Anpassung an die wissenschaftlich konstruierte und sozialpolitisch institutionalisierte Norm vorzieht. Er schreibt der griechisch-römischen Ethik in empirisch übrigens nicht unstrittiger Weise[ix] den bewußt reflektierten Entwurf einer autonom durch das Individuum zu praktizierenden Kunst der subjektiven Verwirklichung zu und tritt offen für die Aktualisierung einer solchen Existenzästhetik (gegen die religiös begründete Moralität und die sozialstaatlich garantierte Normalität) ein: “Die Vorstellung des bios als Stoff eines Kunstwerks erscheint mir faszinierend. Und ebenso die Vorstellung, daß die Ethik der Existenz eine sehr starke Struktur geben kann, ohne sich auf ein Rechtswesen, ein Autoritätssystem oder eine Disziplinarstruktur beziehen zu müssen. (…) Mir fällt auf, daß Kunst in unserer Gesellschaft zu etwas geworden ist, das nur Gegenstände, nicht aber Individuen oder das Leben betrifft. Daß Kunst etwas Gesondertes ist, das von Experten, nämlich Künstlern gemacht wird. Aber könnte nicht das Leben eines jeden ein Kunstwerk werden ?”[x].

Aufgrund dieses emphatischen Bekenntnisses hat man Foucault zuschreiben wollen, sich von der Moralität und Normalität der modernen bürgerlichen Lebensverhältnisse in die jungkonservative Nostalgie eines wiederbelebten (patriarchalisch-aristokratischen) Tugendideals zu flüchten. Foucault hat solche z.T. sogar affirmativ vorgetragenen Unterstellungen sowohl als unhistorisch als auch als in der Sache völlig verfehlt zurückgewiesen. Er hat zugleich unmißverständlich (erklärt) darauf insistiert, daß ihn an der Antike allein das historische Faktum einer ohne jeden (normativen) Bezug auf ein universales moralisches Gesetz oder eine universale wissenschaftliche Wahrheit (ausgeübten) praktizierten ethischen Lebenskunst als solches, nicht aber deren konkrete Ausarbeitung interessiert: Die Erinnerung der antiken Existenzästhetik soll demgemäß lediglich suggestiv die Möglichkeit erschließen, eine Ethik der subjektiven Autonomie in (genuin) moderner Perspektive zu entwickeln.[xi] Konsequenterweise bezieht sich Foucault in der weiteren historischen Bestimmung seiner Existenzästhetik direkt auf den Dandyismus und die Bohème des 19. Jahrhunderts sowie auf Baudelaire, Nietzsche und Gide als auf deren wichtigsten theoretischen Fürsprecher.[xii] Weil dabei nun allerdings sowohl für Foucault wie für seine eben genannten Gewährsleute die antibürgerliche Künstlersubjektivität ausdrücklich zum Vorbild (wird) avanciert, konnte der Aufruf zur Existenzästhetik als Appell zum unpolitischen Rückzug in einen (notwendig) elitär-individualistischen Ästhetizismus verstanden werden. Dieser nicht abwegige Eindruck verstärkte sich noch, als Foucault die dem Marxismus (grundlegende) konstitutive Vorstellung ausdrücklich zurückwies, nach der zwischen den politökonomischen Strukturen der Gesellschaft und der persönlichen Ethik des Alltagslebens so tiefe (analytische) Beziehungen beständen, daß eine libertäre Änderung der individuellen Verhaltensweisen notwendig an die Veränderung der Gesellschaft im Ganzen gebunden sei.[xiii] Die (bisweilen auch von Foucault selbst nehegelegte) individualistische Deutung mußte dann aber ihrerseits den politischen Kontext sowohl der Existenzästhetik wie der Genealogie überhaupt abblenden. Sie mußte zugleich den Bezug überspringen, den Foucault (an anderen Stellen) (selbst) ausdrücklich zwischen seinen ethischen (Vorstellungen) Intentionen und seiner politischen Aktivität hergestellt hat. (Die individualistische Deutung der Existenzästhetik) Sie mußte vor allem – und dies ist sowohl in kritischer wie in affirmativer Hinsicht versucht worden – unterderhand einen Begriff von Politik und analog einen Begriff von Ethik wiedereinführen, der hinter die Subversion der Trennung des Privaten und des Politischen zurückfiel, die für die Mai-Revolten grundlegend gewesen war. Umgekehrt wird dann aber von dort her sichtbar, inwiefern der Entwurf der Existenzästhetik gerade diese Subversion reflektiert hat und insofern direkt auf die gegenwärtige politische Situation bezogen ist.

3.

An der Position, die Foucault praktisch im Mai 68 bezieht, zeigt sich (deutlich) markant, daß er zu dieser Zeit der theoretisch bereits verworfenen Konjunktion von Marxismus und Existentialismus noch eng verbunden ist. In einem Gespräch mit Gilles Deleuze umreißt er seine Position noch 1972 wie folgt: “Sobald man gegen die Ausbeutung kämpft, führt das Proletariat nicht nur den Kampf, sondern es definiert auch die Zielscheiben, die Methoden, die Orte und die Mittel des Kampfes; sich mit dem Proletariat verbünden heißt, seine Positionen, seine Ideologie, seine Kampfmotive übernehmen. Heißt also verschmelzen. Da man aber gegen die Macht kämpft, können alle, gegen die sich die Macht richtet und die die Macht als unerträglich erfinden, den Kampf an ihrem Ort und aufgrund ihrer eigene Aktivität (oder Passivität) beginnen. Mit diesem Kampf, dessen Ziel sie genau kennen und dessen Methode sie bestimmen können, treten sie in den revolutionären Prozeß ein. Und zwar als Verbündete des Proletariats, da die Macht der Erhaltung der kapitalistischen Ausbeutung dient. Indem sie dort kämpfen, wo sie unterdrückt werden, unterstützen sie die proletarische Revolution”[xiv]. (Überdeutlich läßt sich hier … ablesen) ((Paraphrase ??)) (((Paradigmatisch zeigt sich hier die eingangs erwähnte Zweideutigkeit im Selbstverständnis der Mai-Revolten im Ganzen. Zum einen übernimmt Foucault in fast klassischer Form die revolutionstheoretische Zentralthese von der führenden Rolle und “Stifterfunktion” des Proletariats in einer kontinuerlich voranschreitenden Emanzipationsgeschichte. Zum anderen vertritt er im offenen Widerspruch zu diesem Klassizismus bereits den Entwurf einer anarchischen Mikropolitik, in der widerständige Subjekte die modernen Machtverhältnisse von genau dem Ort aus anfechten, an dem diese Macht ihre Aktivität und Passivität berührt.))) Im Gespräch mit Deleuze wird (diese Zweideutigkeit) dieser Widerspruch nicht aufgelöst(:) Zwar werden parteibürokratische Totalisierungen zurückgewiesen, doch wird zugleich unausdrücklich eine letztendliche Harmonisierung der vielgestaltigen und je für sich minoritären Revolten im Fortgang der proletarischen Revolution unterstellt. Die spätere Existenzästhetik reflektiert dann aber genau diesen Widerspruch; in ihr wird thematisch, wie die Anfechtung der modernen Macht zu entwerfen ist, wenn die Aufbrüche der widerständigen Subjekte vom Hier und Jetzt ihres jeweiligen Ortes aus sich nicht von selbst auf dem Königsweg der Großen Revolution zusammenfinden. Der existenzästhetische Lösungsversuch setzt allerdings konstitutiv den problematischen Verzicht auf zwei zuvor noch gehaltene Intentionen voraus:

1.) Er muß mit der Aufgabe der revolutionstheoretischen Finalisierung der Revolten die Perspektive einer letzten Befriedung der Geschichte in der realisierten Utopie vollständiger Emanzipation aufgeben und er muß

2.) mit dem Verzicht auf die revolutionäre Utopie die Perspektive aufgeben, die mit den modernen Vergesellschaftungsweisen gesetzten Machtverhältnisse überhaupt auf dem Weg einer in immanenter Negation ‘zu Ende’ geführten Vergesellschaftung zu beseitigen.

Nichts anderes aber ist im Begriff der Existenzästhetik selbst schon gemeint: In ihm wird der libertäre Impuls der individuellen und sozialen Revolten auf die gegen die Geschichte und gegen die Gesellschaft auszuspielende Konstruktion eines selbstbestimmten Lebens im Hier und Jetzt gerichtet, die jederzeit und überall nur lokal, partiell und minoritär erreicht werden kann. Dabei stützt sich Foucault auf eine die klassische Revolutionstheorie überschreitende Typologie der sozialen Kämpfe, die den unterstellten (Vorrang) Primat der existenzästhetischen Mikropolitiken historisch zu begründen sucht: “Allgemein kann man sagen, daß es drei Typen von Kämpfen gibt: die gegen Formen der (ethnischen, sozialen und religiösen) Herrschaft; die gegen Formen der Ausbeutung, die das Individuum von dem trennen, was es produziert; die gegen all das, was das Individuum an es selber fesselt und dadurch anderen unterwirft (Kämpfe gegen Subjektivierung, gegen Formen von Subjektivität und Unterwerfung/Subjektivation)”[xv]. Obwohl alle drei Kampfformen jederzeit in den Revolten präsent sind, dominiert Foucault zufolge jeweils eine ihre bestimmte Verbindung. So wurden die Kämpfe der vormodernen Feudalgesellschaften durch die Revolten gegen exklusive Herrschaft, diejenigen der ArbeiterInnenbewegung des 19.Jahrhunderts durch die gegen Ausbeutung dominiert. In der Gegenwart wird der Kampf gegen die historisch entweder auf das moralische Gesetz oder die wissenschaftlich-institutionelle Norm zentrierten “Weisen der Subjektivation” zunehmend dominant, (zwei Sätze) ohne daß Herrschaft und Ausbeutung als Motiv der Revolten verschwunden wären und ohne daß damit gesagt wäre, daß ihre existenzästhetische Anfechtung von den Produktions- , Rechts- und ideologischen Verhältnissen unabhängig wäre, auf denen sie aufruhen.

Daß Mikropolitiken widerständig-(selbstbestimmter) autonomer oder herrschaftlich-(fremdbestimmter) heteronomer Subjektivation in den Brennpunkt der sozialen Auseinandersetzung treten, resultiert Foucault zufolge aus dem die moderne Vergesellschaftung bestimmenden Prozeß der Durchstaatlichung aller Lebensverhältnisse. Entgegen der hartnäckig sich haltenden Illusion, nach der der Staat als ein Typ der politischen Herrschaft verstanden wird, der gegen den wildwüchsigen Partikularismus der Individuen das Interesse der Allgemeinheit oder wenigstens das der herrschenden Klasse exekutiere, muß die moderne Staatlichkeit als eine Machttechnologie verstanden werden, in der die herrschaftliche Vergesellschaftung maßgeblich durch Strategien der Individualisierung bestimmt wird. Diese Paradoxie führt dann dazu, daß die Individuen gerade in der Form ihrer für sich getrennten Existenz zur “Masse” (vergesellschaftet) homogenisiert werden, (zwei Sätze) in der die Prozeduren der Normalisierung und Disziplinierung nicht von außen, sondern im Innern der Subjekte und durch deren Selbsttätigkeit umgesetzt werden. Weil diese Form der Staatlichkeit nicht in den Händen eines höchsten Exekutivorgans zentralisiert, sondern kapillar im Alltagsverhalten der verstaatlichten Individuen selbst verwurzelt ist, darum besteht “das politische, ethische, soziale und philosophische Problem, das sich uns heute stellt, nicht darin, das Individuum vom Staat und dessen Institutionen zu befreien, sondern uns sowohl vom Staat als auch vom Typ der Individualisierung, der mit ihm verbunden ist, zu befreien”. Genau deshalb aber bildet der existenzästhetische Immoralismus den Kern einer qualitativ neuen Politik und Ethik jenseits der ideologischen Trennung des Politischen und des Ethischen: In ihm geht es darum, “neue Formen von Subjektivität zustande(zu)bringen, in dem wir die Form von Individualität, die man uns jahrhundertelang auferlegt hat, zurückweisen”[xvi]. In der Analytik des Prozesses wie in seiner experimentellen Anfechtung kommt dem “Sexualitätsdispositiv” eine privilegierte Stellung zu, weil in ihm die im Widerspiel von moralischem Gesetz, wissenschaftlicher Norm und staatlicher Fürsorge erreichte Disziplinierung der Individuen und Bevölkerungen sich mit den Aufbrüchen und Widerständen derer kreuzt, die sich anderswohin bewegen.

4.

Foucault selbst hat den ethisch-politischen Einsatz seiner Kunst des subjektiven Widerstands nicht nur in der Berufung auf Baudelaire und Nietzsche, sondern ausdrücklich auch im Kontext der “neueren Befreiungsbewegungen” in der Folge der Mai-Revolten erläutert:[xvii] Tatsächlich läßt sich denn auch der Eigensinn der Existenzästhetik gerade im Vergleich zu den Initiativen abheben, die ihr verwandten Sinnes vorausgegangen sind. Daß die auf die getrennte Tätigkeit ästhetischer Experten reduzierte Kunstwerke-Artistik zum Alltagsleben hin entgrenzt und daß dabei vornehmlich die Subjektion der Individuen unter das Regime sowohl der Moral wie der Wissenschaft gebrochen werden muß, diese Idee teilen fast sämtliche KünstlerInnenavantgarden zu Beginn des Jahrhunderts( ;). Daß eine “hyperpolitisch” aufgeladene Lebenskunst mit der traditionellen Artistik auch die traditionellen Formen revolutionärer Politik hinter sich lassen muß und damit zur Avantgarde überhaupt der individuellen und sozialen Emanzipation wird, dies ist dann der noch einmal radikalisierte Anspruch der “Situationistischen Internationale” gewesen, die seit den Fünfziger Jahren deren Erbe beansprucht hat. Die theoretische und praktische Einlösung dieses Anspruchs wird von den SituationistInnen schon im Gründungsmanifest 1957 in einer Ästhetik der Existenz gesucht, deren “ethische Teleologie” darauf zielt, “bei jeder Gelegenheit konkret der kapitalistischen Lebensweise andere, wünschenswerte Lebensweisen entgegenzusetzen”[xviii]. In den ein Jahr später publizierten “Thesen zur kulturellen Revolution” heißt es näherhin: “Das Ziel der Situationisten ist die unmittelbare Beteiligung an einem Überfluß der Leidenschaften im Leben durch die Abwechslung vergänglicher, mit voller Absicht gestalteter Momente. Das Gelingen dieser Momente kann nur in ihrer vorübergehenden Wirkung bestehen. Die Situationisten fassen die kulturelle Tätigkeit vom Standpunkt der Totalität auf, als eine Methode der experimentellen Gestaltung des alltäglichen Lebens, die mit der Ausdehnung der Freizeit und der Abschaffung der Arbeitsteilung – und an erster Stelle der Teilung der künstlerischen Arbeit – permanent entwickelt werden kann”[xix]. Medium der angezielten Experimentalkunst des Alltagsverhaltens ist das zunächst und zuletzt jedem/jeder einzelnen für sich in die Hand gegebene Spiel der “Konstruktion von Situationen”. Darin sollen auf dem Wege einer von den beteiligten AkteurInnen autonom bestimmten Therapeutik der Verhaltensweisen die Konditionierungen gebrochen werden sollen, die den Subjekten durch die familiale und staatliche Erziehung, durch ihre Einpassung in die arbeitsteilige Produktion, aber auch durch die herrschenden Konsumtionsweisen und dabei vor allem durch die massenmedial vermittelte Kulturindustrie einverleibt worden sind. Der konkrete Ort der in der “situationistischen Tätigkeit” betriebenen “Revolution der Lebensgewohnheiten”[xx] ist der soziale Raum der Stadt und des Alltags. In der “hyperpolitischen” Gestaltung gezielt “außer – ordentlicher” vergänglicher Situationen soll ein “Paralleluniversum” zur herrschenden Realität entstehen, in dem die massenförmige Isolierung der Individuen voneinander in einer sozialen Kunst der freien Begegnung aufgebrochen wird: “So ist die Situation dazu bestimmt, von ihren Konstrukteuren erlebt zu werden, die (…) in einem neuen Sinn des Wortes ‘Lebemänner’ genannt werden können”[xxi]. Mit diesem integral-existenzästhetischen Programm sind die SituationistInnen zu einem der radikalsten Kerne der Mai-Revolten in Frankreich und Deutschland geworden. Nicht zufällig können vor allem (die) deren libertäre Neuerungen (des Mai) in (mit der Hilfe) (situationistischen Begriffen)ihres Vokabulars beschrieben werden, nicht zufällig haben (die SituationistInnen) sie von Anfang an in der Wiederbelebung pseudobolschewistischer Kaderpolitik den entscheidenden Rückfall denunziert. Trotzdem muß im Rückblick eingeräumt werden, daß die SituationistInnen ihre hochgesteckten Ansprüche kaum haben realisieren können und zuguterletzt selbst dem autoritären Sektierertum der scharfzüngig kritisierten Parteirekruteure verfallen sind. Der Grund dafür liegt nun aber darin, daß die angezielte “modernisierte Negation” so tiefgreifend nicht war, wie ihr selbst dies erscheinen mußte. Wiederum nicht zufällig gründet der Rückstand der S.I. hinter ihrer eigenen Radikalität in ihrer Beistimmung zur nicht hinreichend abgearbeiteten klassischen Revolutionstheorie. Von hier her stammt die in der Praxis nicht zu bewährende Privilegierung eines gemäß einer Logik der Sensation auf seine eigene Momenthaftigkeit und Augenblicklichkeit setzenden Aktivismus, (zwei Sätze) der dann im Maße seines Scheiterns die rhetorische Überhöhung im Verweis auf den letztendlichen Durchbruch der Revolution im allesentscheidenden Eingriff des Weltproletariats nach sich zog. Indem Foucaults Existenzästhetik sich gerade in der Übereinstimmung im Ansatz von der revolutionstheoretischen Abstraktion lossagt und sich deshalb darauf beschränkt, “in der Kontingenz, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind, die Möglichkeiten auf(zu)finden, nicht länger das zu sein, zu tun oder zu denken, was wir sind, tun oder denken”, kann sie als Fortführung und Vertiefung der ursprünglichen situationistischen Intention verstanden werden: “Ich ziehe die sehr spezifischen Transformationen vor, die in den letzten zwanzig Jahren (…) möglich geworden sind, die die Weise unseres Seins und Denkens betreffen, die Beziehungen der Autorität, die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern, die Weise, auf die wir Wahnsinn und Krankheit wahrnehmen”[xxii]. Gerade in der Beschränkung auf das stets lokale, partielle und minoritäre Experiment entdeckt Foucault das in der S.I. revolutionstheoretisch übersprungene Problem der Kontinuierung widerständiger ‘Lebensart’ über die Sensation der momentanen Überschreitung hinaus: Wesentliches Moment der Existenzästhetik ist die Ausbildung einer die Situationskonstruktionen gerade nicht mehr welt-, sondern eben ‘bloß’ lebensgeschichtlich zusammenhaltenden subjektiven Kohärenz(eines … Zusammenhangs). In dieser Kohärenz muß die Existenzästhetik zunächst als “eine Haltung vorgestellt werden, ein Ethos, ein philosophisches Leben, in dem die Kritik dessen, was wir sind, zugleich die historische Analyse der uns gegebenen Grenzen ist und ein Experiment der Möglichkeit ihrer Überschreitung”[xxiii].

5.

In dieser Rücknahme der ‘Politik’ hinter die ‘Ethik’ kehrt Foucault auf die Position zurück, die Sartre nach der Enttäuschung der in den Aufbruch des Mai gesetzten Hoffnung skizziert hat. Zwar hält Sartre auch dann noch am anarchistischen Fernziel einer revolutionären Zerstörung jeglicher Macht fest, doch stellt er sich 1979 in einem Interview der scheinbar unausweichlich gewordenen Einsicht, daß “weder wir selbst, noch unsere Kinder das Verschwinden des Staates erleben” werden: “Vielleicht gelingt es unseren Urenkeln”[xxiv]. Aufgrund dieser Einschätzung verändert sich die anarchistische Anfechtung der Macht dann aber von einem primär politisch-weltgeschichtlichen zu einem ethisch- bzw. moralisch-lebensgeschichtlichen Problem: “Es geht also darum zu wissen, wie ein Anarchist jetzt leben muß. In diesem Sinn ist die Anarchie für mich ein moralisches Leben. (…) Der Anarchist stellt sich also die Frage: Wie kann man in einer Gesellschaft, in der es Macht gibt, leben ? Man muß versuchen, sich soweit als irgend möglich jeder sozialen Macht zu entziehen, und man muß jegliche Form von Machtausübung, die wir in unserem eigenen Handeln aufdecken können, in Frage stellen”[xxv]. Wortwörtlich könnte diese Fragestellung zur Leitfrage der foucaultschen Existenzästhetik erhoben werden: Trotzdem funktionierte sie dort in einer grundsätzlich verschobenen Art und Weise. Für Sartre eröffnet der Primat der ethischen Lebensführung des Anarchisten/der Anarchistin vor dem weltgeschichtlichen Endziel der Zerstörung jeder Form von Machtausübung in einer Utopie der “totalen Transparenz”[xxvi] eine Situation des Exils. Nicht anders als die SituationistInnen vor ihm (entwirft) konzipiert auch Sartre das “moralische Leben” der Anarchie vom “Standpunkt der Totalität” her, der – mit Foucault gesprochen – von der “Stifterfunktion des Subjekts” aus konstruiert wird und in der kontinuierlichen Geschichte sein “unerläßliches Korrelat” hat. In dieser Geschichte und vor ihrem ersehnten Ende ist die Macht dann aber “eine der wesentlichen Formen des Bösen” und die Anfechtung der Macht im Hier und Jetzt immer nur Vorgriff auf gattungsallgemeine Erlösung: “Das einzige Ziel, daß jeder haben muß, ist der Mensch selbst, was nichts anderes heißt als: der Mensch ist noch nicht Mensch, wir müssen uns ganz langsam in Menschen verwandeln. Der Mensch ist für den Menschen ein absolutes Ziel”[xxvii]. Eben dieser geschichts- und subjektphilosophischen Überhöhung im Ansatz der Konjunktion von Marxismus und Existentialismus hatte Foucault die Genealogie entgegengestellt;(,die auf ein Universalsubjekt der Geschichte verzichtet.) (K)konsequenterweise setzt sich dann auch seine Konzeption eines “moralischen Lebens” der Anarchie von solcher universal(human)istischen Überspannung ab(:). (Die Ästhetik der Existenz ist gerade nicht ein Notbehelf, mit dem die überlange Zeit bis zur letztendlichen Vollendung der “Humanisierung” des sozialen Lebens überbrückt werden soll:) “Der Mensch, von dem man uns spricht und zu dessen Befreiung man uns einlädt, ist in sich das Resultat einer Unterwerfung, die viel älter ist als er”[xxviii]. Deswegen funktioniert die Zurückweisung der sozialen und die Infragestellung der jeweils eigenen Macht im existenzästhetischen Anarchismus Foucaults in grundlegend anderer Weise. Sie zielt auf die Zurückweisung der Macht des Sozialen (im Individuum) in den Individuen und zugleich auf die Zurückweisung der Macht, mit der das Soziale (das Individuum) die Individuen ausstattet, wenn (sie) es (im Sozialisierungsprozeß zum Agenten seiner Selbstunterwerfung) die jeweilige Subjektivität zur Agentin der eigenen Subjektion unter das Soziale erhebt. (Während Sartre das “moralische Leben” der Anarchie als Vorgriff auf die utopische Vergesellschaftung aller im abgeschlossenen Prozeß ihrer “Menschwerdung” versteht, sucht Foucault gerade nach den Öffnungen in diesem Prozeß, über die hinaus die einzelnen aus ihm desertieren können.) Von dort her erschließt sich der ethisch-politische Einsatz der Ästhetik der Existenz als nochmalige Überdrehung der Grundintention des linken Radikalismus, nach der im (Aufbruch) Prozeß der widerständigen Autonomien Ziel und Methode, Zweck und Mittel nicht voneinander getrennt werden können und dürfen. Im existenzästhetischen “Jede/r für sich” ist dann endlich zu realisieren, daß dabei zuallererst die (Unterwerfung) Subjektion der Individuen unter jede Form einer politischen Moral zu brechen ist, die nach der Logik des (Selbst-) Opfers, des Verzichts und des Aufschubs der Verwirklichung auf den Tag X der Utopie funktioniert. Weil der Einsatz, der in der individuellen und sozialen Konstruktion eines selbstbestimmten Lebens aufs Spiel gesetzt wird, jeder/jedem einzelnen immer nur im minoritären Unterschied der eigenen Existenz in die Hand gegeben sein kann, ist zugleich auf die Anmaßung des Kaders zu verzichten, stellvertretend für irgendwelche entrechteten Massen einzustehen. Damit entfällt dann die Gratifikation, die mit der “weltgeschichtlichen” Überhöhung des “Engagements” und der pathetischen Beschwörung der Teilhabe an der allgemeinen Menschwerdung erworben werden konnte. Soll im Gegenzug allerdings die existenzästhetische Selbstbehauptung der Differenz von bloß partikular-individualistischer Bornierung und letztlich von einer verdeckten Form der Anerkennung des Bestehenden unterschieden werden können, darf (mit der Dekonstruktion der Revolutionstheorie nicht einfach auch) die theoretische und praktische Reflexion auf den Systemcharakter der Herrschafts-, Ausbeutungs- und Subjektivierungsverhältnisse nicht einfach ausgesetzt werden. Dann ist aber auch die leichtfertige Verabschiedung schon des Anspruchs auf einen “radikalen” und “globalen” Bruch mit dem “System der gegenwärtigen Realität” zurückzuweisen, die Foucault wenigstens im Aufklärungsaufsatz angedeutet hat.[xxix] In der Abkehr von der revolutionstheoretischen Abstraktion hat Foucault zu Recht darauf insistiert, daß es nicht darum gehen kann, sämtliche Machtverhältnisse “in der Utopie einer vollkommen transparenten Kommunikation aufzulösen, sondern sich die Rechtsregeln, die Führungstechniken und auch die Moral zu geben, (…) die es gestatten, innerhalb der Machtspiele mit dem geringsten Aufwand an Herrschaft zu spielen”[xxx]. Gilt jedoch zugleich, daß die herrschaftlichen Machtpraxen sich soweit zu totalisieren suchen, daß gleichfalls zu Recht von einem “System der gegenwärtigen Realität” gesprochen werden muß, so ist eben deshalb wenigstens das Problem eines Aufbruchs der Herrschaftsverhältnisse im Ganzen aufgeworfen. Mehr noch: Zugleich mit der Zurückweisung der utopistischen Überspannung ist mit Foucaults WeggefährtInnen Gilles Deleuze und Claire Parnet offenzuhalten, ob nicht gerade in der Konsequenz einer minoritären Lebenskunst unabschließbar vielzähliger Autonomien “ein neuer Typ von Revolution im Begriff steht, möglich zu werden”. Gleichermaßen gegen jede Revolutionsabstraktion wie gegen jeden Radikalitätsverzicht wäre dann zu erinnern: “Die Frage nach der Zukunft der Revolution ist eine schlechte Frage, weil, solange sie gestellt wird, es immer noch Leute geben wird, die nicht revolutionär werden, und weil sie dazu dient, die Frage nach dem Revolutionär-Werden der Menschen, auf jeder Ebene und an jedem Ort, zu unterbinden”[xxxi]. Existenzästhetisch konkretisiert sich diese Frage dann in dem Problem, wie gerade in der offenen Vielheit der stets lokalen und partikularen Freiheitskünste deren Unterscheidung und Verbindung untereinander ausgetauscht und gegenseitig verstärkt werden kann. Sofern dieses Problem eben nicht mehr geschichtsphilosophisch vorentschieden ist, kann es als das Problem des gelebten Zusammenhangs des unvertretbar eigenen und dennoch immer auch gemeinsamen Handelns und Denkens im Hier und Heute der Machtspiele gestellt werden. Es stellt sich dann endlich nicht mehr als Frage der “richtigen” Ideologie, der sich die Individuen nach der Form des Gesetzes oder der Norm zu verpflichten haben, sondern als ethisch-politische Frage nach der konkreten sozialen Organisation eines selbstbestimmten Lebens gegen den Staat und die mit ihm verbundenen Weisen der Vereinzelung und Vergesellschaftung.

Fussnoten

[i] Sexualität und Wahrheit, Bd. II: Der Gebrauch der Lüste. Frankf. 1986. Bd. III: Die Sorge um sich. Frankf.1986. Außerdem: Freiheit und Selbstsorge. Frankf. 1985. Was ist Aufklärung ? In: E. Erdmann u.a. (Hrsg.), Ethos der Moderne, Frankf. 1990, dort auch das Interview: Die Rückkehr der Moral. Das Subjekt und die Macht. In: H. Dreyfus / P. Rabinow, Michel Foucault, Frankf. 1987, dort auch das Interview: Genealogie der Ethik. Von der Freundschaft, Berlin 1984. Was ist Kritik ?, Berlin 1992. Für eine Kritik der Politischen Vernunft. In: Lettre International 1, 1988.

[ii] Das Subjekt und die Macht, S. 243.

[iii] Sexualität und Wahrheit, Bd.I: Der Wille zum Wissen, bzw. S. 168 S. 166.

[iv] Was ist Aufklärung ?, S. 52, vgl. auch im Interview mit Dreyfus/Rabinow a.a.O., S. 275.

[v] Vgl. Psychologie und Geisteskrankheit, dt. Frankf. 1968.

[vi] Die Polemik gegen Sartre durchzieht untergründig das ganze Werk Foucaults, die Kritik der sog. “Repressionshypothese” im ersten Band von ‘Sexualität und Wahrheit’ ist unüberhörbar speziell gegen Marcuse und gegen die Marcuse-Rezeption in den 68er Revolten entworfen worden.

[vii] Archäologie des Wissens, Frankf. 1973, S. 34.

[viii] Den Begriff des “Wahrheitsspiels” hat Foucault in Anlehnung an Wittgensteins Begriff des “Sprachspiels” gebildet. Mit der Verwendung der Spiel-Metapher soll nicht behauptet werden, daß es in einem Wahrheitsspiel ‘nur’ um ein Spiel mit der Wahrheit und nicht um diese selbst geht; mit der Spiel-Metapher soll vielmehr darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Erzeugung von Wahrheit jeweils von bestimmten Regeln angeleitet wird. Diese Regeln ihrerseits sind deshalb selbst weder wahr noch unwahr: Sie sind vielmehr Gegenstand und Resultat von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Erzeugung und Geltung von Wahrheit. Ebendeshalb kann die Frage nach der Wahrheit nur ‘genealogisch’, d.h. nur im Zusammenhang mit einer Untersuchung der sozialen Machtverhältnisse beantwortet werden. Selbstverständlich ist damit nicht gesagt, daß die Wahrheit ‘nichts’ als ein Produkt der Macht ist… .

[ix] In verschiedenen Kritiken ist Foucault eine Idealisierung der griechischen Ethik vorgeworfen werden. So seien insbesondere die Machtwirkungen übersprungen worden, die vom sozialen Status, vom Geschlecht und von der kriegerdemokratischen Ordnung der Polis ausgingen; außerdem habe Foucault die anonyme Macht der institutionalisierten philosophischen Lehre über die gesamte politisch-soziale Ordnung abgeblendet. Darüberhinaus ist grundsätzlich die handlungstheoretische Erweiterung des Machtbegriffs kritisiert worden, vgl. im Zusammenhang U. Marti, Michel Foucault, München 1988, S. 138ff.

[x] Interview mit Dreyfus/Rabinow, S. 272f.

[xi] Vgl. ebd., S. 268 – 273.

[xii] Vgl. ebd., S. 273f., S. 283, S. 291f. sowie Was ist Aufklärung ?, S. 42ff.

[xiii] Interview mit Dreyfus/Rabinow, S. 273.

[xiv] Von der Subversion des Wissens, München 1988, S. 139.

[xv] Das Subjekt und die Macht, S. 247.

[xvi] ebd., S. 250.

[xvii] So im Interview mit Dreyfus/Rabinow S. 267, systematisch dann in Das Subjekt und die Macht, S. 245f. bzw. in Was ist Aufklärung ?, S. 49f. sowie verstreut in sämtlichen späteren Äußerungen.

[xviii] Der Beginn einer Epoche. Texte der Situationisten. Hamburg 1995, S. 43.

[xix] ‘Situationistische Internationale’ Nr.1, 1958, dt. Hamburg 1976, Bd.1, S.25f.

[xx] Der Beginn einer Epoche, S. 40

[xxi] ebd., S. 41.

[xxii] Was ist Aufklärung?, S. 49f.

[xxiii] ebd., S. 53.

[xxiv] Anarchie und Moral. Interview mit J.P. Sartre. In: Concordia 5/1984, S. 66.

[xxv] ebd., S. 67.

[xxvi] ebd.

[xxvii] ebd., S. 67f.

[xxviii] Überwachen und Strafen, Frankf. 1976, S. 42.

[xxix] Vgl. Was ist Aufklärung ?, S. 49f.

[xxx] Freiheit und Selbstsorge, S. 25.

[xxxi] G. Deleuze / C. Parnet, Dialoge, Frankf. 1980, S.158.